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Autor: Karl Geyer
Thema: Ewiges Gericht und Allversöhnung

"Für dieses arbeiten wir und werden geschmäht, weil wir auf einen lebendigen Gott hoffen, der ein Erretter aller Menschen ist, besonders der Gläubigen. Das schärfe ein und lehre." (1. Tim. 4, 10-11)

Inhaltsverzeichnis:

1. Einleitung
2. Das Beispiel des Gerichts
3. Ewig und Ewigkeit
4. Ich-Versöhnung und All-Versöhnung
5. Die Frage nach den Anderen
6. Die Willensfrage
7. Die Rechtsfrage
8. Die Machtfrage
9. Die Harmonie im Wesen Gottes
10. Die Vollendung des Gerichts
11. Die Heilung der Nationen
12. Schlusswort

Einleitung

Wenn ein Mensch durch einen Akt der Erkenntnis Gottes aus dem Tode zum Leben gekommen ist, so ist es der Wille des Vaters, dessen Geist durch einen Zeugungsakt mit unserem Geist uns dieses neue Leben vermittelte, daß dieses neue Leben sich entfalte, bis aus einem Kindlein ein Jüngling und aus einem Jüngling ein Mann in Christo geworden ist. Normales Wachstum erzeugt die zu einem göttlichen Wandel notwendige Kraft. Darum ist es auch nötig, daß wir zunehmen an Alter, Weisheit und Gnade bei Gott und den Menschen, wie er, der Herr selbst, auch diesen Weg gegangen ist. Dies ist auch das Endziel gottgemäßer Gemeindearbeit (Kol. 1, 27-29).

Die beiden Mittel zu einem gottgemäßen Wachstum sind Glaube und Erkenntnis. Der Glaube sagt „Ja“ zu dem erkannten Gotteswillen, und die Erkenntnis erschließt neue Glaubenswege. Darum heißt es: „Wir haben geglaubt und erkannt“ - und: „Wir haben erkannt und geglaubt“ (Joh. 6, 69; 1. Joh. 4, 16).

Wer den Willen Gottes nicht weiß, kann ihn auch nicht tun. Es ist deshalb töricht, den Willen Gottes tun zu wollen, aber die Erkenntnis dieses Willens abzulehnen. Der Feind hat es in seiner schlauen Taktik wohl verstanden, die Gläubigen zu allen Zeiten irre zu machen. Im Paradies, als es dem Menschen noch nicht gut war, von dem Baum der Erkenntnis zu essen, wußte er den Menschen zum Essen zu bewegen. Nachdem in Christo das Leben erschienen ist und die Erkenntnis Gottes und Jesu Christi das Leben ist (Joh. 17, 3), versucht es der Feind auf alle Art, die Gläubigen von der Erkenntnis des im Worte geoffenbarten Gotteswillens zurückzuhalten. Dazu ist kein Mittel zu schlecht. Im Gewande frommer Philosophie und christlicher Redensarten sucht er den Gläubigen die Erkenntnis zu verdächtigen. Gelingt ihm das, dann ist es mit dem Wachstum aus. Denn Erkenntnis ist etwas anderes als Kenntnis. Man vergleiche nur Stellen wie 1. Mose 4, 1.17.25; 19, 5.8; 24, 16 u. a. Da liegt die Bedeutung klar zutage, daß Erkennen das Einswerden von zweien ist, zu dem Zweck, neues Leben zu zeugen. So zeugt auch Gottes Geist mit unserem Geist, und dieses Einswerden ist Erkenntnis in biblischem Sinn. Darum sagt auch die Schrift: „Wer glaubt, hat das Leben“, aber: „Die Erkenntnis ist das Leben“ (Joh. 3, 36; 17, 3).

Wo die Erkenntnis des Willens und Wesens Gottes in einem Glaubensleben fehlt, bleibt dieses tot und fruchtleer. Es kann zwar für seine eigene Person so dahinvegetieren, gelangt aber nie zur geistlichen Reife und bleibt darum auch wertlos für andere. Schon im Alten Testament klagt der Herr: „Mein Volk geht zugrunde aus Mangel an Erkenntnis“ (Hosea 4, 6; Jes. 1, 3-9 und 5, 13; Hiob 36, 12; Spr. 19, 2; Jer. 8, 7; Hos. 6, 6).

Es sei noch einmal ausdrücklich festgestellt, daß Erkenntnis nicht verwechselt werden darf mit Kenntnis. Die Kenntnis oder das Wissen hat seine Wurzel in dem Geltungsbedürfnis des Menschen. Die Wirkung ist auch entsprechend, denn „die Kenntnis bläht auf“ (1. Kor. 8, 1). Die Erkenntnis ist aber die Folge einer innigen Lebens- und Liebeshingabe an den Herrn bzw. seinen Geist. Auch hier ist die Wirkung entsprechend, denn „die Liebe erbaut“.

Der Apostel der Nationen, Paulus, der von dem auferstandenen und gen Himmel gefahrenen Herrn die letzten und tiefsten Offenbarungen empfing, die der Herr zu seinen Lebzeiten den Zwölfen noch nicht geben konnte, weil sie es noch nicht zu ertragen vermochten (Joh. 16, 12), sieht seines mühevollen Ringens hohes Ziel darin, die Gläubigen zur geistlichen Reife zu führen. Er, durch den Gott sein Wort vollenden ließ (Kol. 1, 25), weiß, daß man nur würdig wandeln und wachsen und fruchtbringend werden kann durch die Erkenntnis Gottes (Kol. 1, 9.10). Darum sind auch alle seine Gebete darauf eingestellt, die Gläubigen durch die Erkenntnis zur geistlichen Reife zu führen. Man lese nur einmal die Gebete in Phil. 1, 9-11; Kol. 1, 9-15; Eph. 1, 15-23; 3, 14-21. Nach diesem letzten Gebet ist es der Wille Gottes, daß die Gläubigen, die einmal ihm gleich sein sollen, wenn sie offenbar gemacht werden, erfüllt werden sollen zur ganzen Gottesfülle.

Wenn dies der Wille Gottes ist, wie falsch ist es dann, wenn wir in selbstgemachter Bescheidenheit, die Demut sein soll, sagen: „Mir genügt es, daß ich einmal selig werde.“ Wie wenig wissen doch diese Gläubigen von dem sehnlichen Verlangen Gottes, seine Kinder so vollkommen zu machen, wie er selbst es ist. Wie groß ist doch unser Unglaube, der immer wieder sich selbst ansieht und an dem hohen Ziele Gottes mit uns zweifelt, weil an uns so wenig zu sehen ist!

Es ist also der Wille des Vaters, daß wir ihn selbst und seinen Willen kennen lernen. Dies sollte genügen, seinem herzlichen Verlangen auch unsererseits in Liebe zu entsprechen. Die Liebe allein ist der rechte Beweggrund. Sie soll überströmen in Erkenntnis und alle Einsicht (Phil. 1, 9-11). Dann allein werden wir vermögend, zu prüfen, was das Vorzüglichere sei, um lauter und unanstößig zu sein auf den Tag Christi.

Worin besteht nun der Wille des Vaters?

Nach dem Zeugnis der Schrift besteht er darin, das gesamte All unter ein Haupt zu bringen in dem Christus (Eph. 1, 8-10). Damit deckt sich als ein Teilziel 1. Tim. 2, 4.

Über diese Absicht Gottes sind sich alle Gläubigen einig. Dagegen sind sie es nicht über die Frage, ob Gott dieses Ziel auch erreicht. Während die einen sagen, daß er alles, was er will, auch tut, so wie er dies von sich selbst bezeugt in der Schrift, halten die anderen dagegen: es steht aber doch geschrieben: „Ihr habt nicht gewollt“ (Matth. 23, 37). Das muß man doch auch gelten lassen. Gott zwingt doch niemand. Außerdem steht doch geschrieben, „daß der Rauch ihrer Qual aufsteigt von Ewigkeit zu Ewigkeit (von Äon zu Äon)“ (Offb. 14, 11).

Es wäre töricht, nur eine dieser Seiten berücksichtigen zu wollen, wie es aber gerade die tun, die am meisten hierüber streiten. Dies geschieht sowohl bei Gegnern, wie auch bei Verteidigern der Allversöhnung. Eine Frage ist aber nicht dann gelöst, wenn man die eine Seite unterdrückt. um die andere behaupten zu können. Alles „Für und Wider“ muß erwogen werden, um den Hauptnenner zu finden, in dem diese beiden scheinbar ungleichnamigen Bruchteile unserer Erkenntnis sich auflösen, ohne daß einem Teil Gewalt angetan werden muß. Solange es für einen Gläubigen noch Stellen gibt zu einer Frage, die ihm unklar oder unbequem erscheinen, solange hat er auch kein Recht, diese Frage anderen gegenüber von irgendeinem dogmatischen Standpunkte aus zu entscheiden. Wer mit geistigen Vorbehalten kämpft, verdient nicht, als Gegner anerkannt zu werden.

Zwei Hauptschwierigkeiten haben von jeher die Lösung der Frage für viele unmöglich erscheinen lassen. Die eine liegt in dem Verhältnis des Willens Gottes zu dem des Menschen (oder des Geschöpfes überhaupt); die andere liegt in der Bedeutung des Wortes „ewig“, besonders im Zusammenhang mit dem ewigen Gericht.

Die Antwort auf diese beiden Fragen, bzw. Schwierigkeiten soll in den nachfolgenden Kapiteln gegeben werden.

Zuvor aber sei noch darauf aufmerksam gemacht, daß es für uns Gläubige ein beschämendes Zeugnis von dem Tiefstand der Erkenntnis in unseren Reihen ist, daß diese Dinge überhaupt noch eine Frage für uns bilden. Nach Hebräer 5, 12-14 und 6, 1.2 gehört die Erkenntnis von dem Wesen des ewigen Gerichts zu den sechs Anfangselementen der Aussprüche Gottes, nämlich

  1. Buße von toten Werken,

  2. Glaube an Gott,

  3. die Lehre von Taufen,

  4. das Händeauflegen,

  5. die Toten-Auferstehung und

  6. das ewige Gericht.

Das sind also Dinge, die als Anfangselemente einem „Kindlein in Christo“ klar sein sollen, aber nicht mehr einem „Jüngling in Christo“ Schwierigkeiten machen dürfen, viel weniger einem „Vater in Christo“. Und doch gibt es genug Gläubige, die der Zeit nach längst „Väter in Christo“ sein sollten, die nur mit Achselzucken von diesen Dingen reden, sogar meinen, es sei Spekulation, sich mit ihnen zu beschäftigen. So etwas gehe über die Schrift hinaus.

Da möchte man doch fast fragen: Wenn schon die Elemente des Anfangs, die doch das mindeste sind, was man von einem Gläubigen an Erkenntnis erwarten muß, als Spekulation bezeichnet werden, was verstehen diese Gläubigen überhaupt noch unter den notwendigen Dingen?

Es ist tief beschämend, daß die Gläubigen aller Kirchen und Denominationen sich eigentlich nur über die zwei ersten Elemente des Anfangs einigermaßen einig sind, nämlich über Buße und Glauben. Diese beiden Dinge bilden auch das Generalthema der meisten Versammlungen und Konferenzen. Aber so notwendig sie sind, so notwendig ist es auch, sie einmal zu lassen. Was würde man von einem Mann sagen, der ein Haus bauen will, der im ersten Jahr nur Grundmauern baut, damit das Haus fest steht, im nächsten Jahr wieder Grundmauern baut. bzw. die alten noch dicker macht, im dritten Jahr die verdickten Mauern noch dicker macht und nur immer so fortfährt, ohne je ein Stockwerk aufzusetzen? - Was aber würden wir von einem Mann sagen, der dies nur mit zwei Grundmauern tut, aber noch nicht einmal die anderen Grundmauern zu bauen anfängt, geschweige denn etwas darauf baut? - Und so tief ist die Erkenntnis in der Gemeinde gesunken, daß man schon die Beschäftigung mit den Grundmauern als Spekulation bezeichnet! Wahrlich, eine tiefe Beschämung über einen solchen Mangel wäre uns notwendiger, als Ketzergerichte von irgendeinem dogmatischen Gesichtspunkt aus!

Man braucht nur einmal irgendeinen Gläubigen über einen der Punkte zu fragen, die nach der Schrift zu den Elementen des Anfangs gehören. Wie steht es mit der Einigkeit, ausgenommen die beiden Punkte Buße und Glauben? - Da käme zunächst als dritter Punkt die Lehre von Taufen. Es soll im Rahmen dieser Arbeit gar nicht untersucht werden, welche von den Taufen, die heute gelehrt werden - Kindertaufe, Gläubigentaufe und Geistestaufe - die biblisch richtige oder die richtigen sind. Nur soviel sei gesagt, daß man am bequemsten über diese Frage hinwegkommt, wenn man erklärt, sie sei keine zentrale Frage, sondern eine mehr äußere, periphere, die mit der Seligkeit nichts zu tun habe. Es sei jedoch noch einmal daran erinnert, daß sie nach dem Urteil der Schrift zu dem kleinen Einmaleins des Kindleins in Christo gehört.

Schlimmer noch steht es mit dem vierten Punkt, dem Hände-Auflegen. Man kennt ihn fast nur im Zusammenhang mit dem Glaubensgebet der Krankenheilung. Wie steht es mit der Vermittlung von Geistesgaben durch Hände-Auflegen der Ältestenschaft? - Von den anderen Bedeutungen ganz zu schweigen. Wo ist hier gemeindemäßige Lehre und Praxis? -

Nun zum fünften Punkt, zur Auferstehung der Toten! Wieviele Auferstehungen gibt es, und welche kommt für uns in Betracht? - Sind wir überhaupt Wartende auf irgendeine? -

Als sechster Punkt der „ersten Buchstaben der göttlichen Worte“ (wie Luther Hebr. 5, 12 übersetzt) steht das ewige Gericht. Über Wesen, Bedeutung, Zweck und Dauer des ewigen Gerichts darf man schon gar nicht mehr reden. Das ist nach der Meinung vieler Gläubiger schon Glatteis, auf das man sich nicht wagen darf, wenn man nicht ausgleiten will. Lieber Bruder, sind dir die ersten Buchstaben der göttlichen Worte auch schon Glatteis? - Dann schlage lieber das Büchlein hier zu und sage: Wir sind Brüder im Herrn. Was sollen wir weiter reden über Dinge, die uns vielleicht unseren Frieden und das gute Einvernehmen stören könnten. Lassen wir lieber auch noch das kleine ABC. Wozu auch miteinander streiten?

Hat aber der Geist Gottes dein Herz willig machen können, durch die Erkenntnis des göttlichen Willens zu einem wohlgefälligen Wandel zu kommen und durch die Erkenntnis des Wesens Gottes selbst „erfüllt zu werden mit der ganzen Fülle Gottes“ (Eph. 3, 19), dann bitte ihn im Glauben, daß er dir ein durch den Heiligen Geist an die Schrift gebundenes Gewissen schenke, damit du ohne Rücksicht auf menschliche Lehrmeinungen nur vor ihm stehen und warten kannst, wie er selbst dir diese Fragen erschließt.

So will auch dies Büchlein nicht Gewissen vergewaltigen, „um Herren eures Glaubens“ zu werden (2. Kor. 1, 24), sondern nur eines der Anfangselemente so darstellen, daß jeder selbst urteilen kann. Was unter viel Herzblut und Tränen vor dem Angesicht des Herrn erbeten wurde, sei hier einfach weitergegeben. Möge es in den Herzen der Leser dazu dienen, auch ihnen den Weg zu völliger Freude zu erschließen! (2. Kor. 1, 24; 1. Joh. 1, 4).

Das Beispiel des Gerichts

Nach dem Zeugnis der Schrift gehört die Lehre von dem ewigen Gericht zu den Anfangselementen des christlichen Lebens. Die Anfangsgründe einer Sache pflegt man schon im natürlichen Leben möglichst anschaulich darzustellen, damit der Lernende sie leichter aufnehmen kann. Dies tut Gott auch. Er redet nicht nur von dem ewigen Gericht, sondern hat uns auch ein Beispiel davon gegeben, wie er es ausführt. Er läßt es nicht mit leeren Drohungen genug sein, sondern beweist es mit der Tat, daß er auch ausführt, was er angedroht hat.

In Judas 7 bezeugt es der Herr in seinem Wort, daß „Sodom und Gomorra als ein Beispiel vorliegen, indem sie des ewigen Feuers Pein leiden“.

Ist ewig gleich endlos, so steht damit auch fest, daß Sodom und Gomorra für immer diese Pein leiden und keine Hoffnung haben, je wieder aus diesem Zustand befreit zu werden. Würde die Schrift uns sonst nichts über diese Städte sagen, so hätten wir uns einfach unter diese Tatsache zu beugen, ganz einerlei, ob wir sie begreiflich fänden oder nicht. Auch die Möglichkeit, daß dieses Tun Gottes den menschlichen Gefühlen unseres Herzens widerstreben würde, kann hier außer Betracht bleiben, da Schriftwahrheiten nicht der Beurteilung durch unsere Gefühle unterworfen sind. Einzig und allein die Tatsache, daß die Schrift an anderer Stelle weiteres über die Zukunft dieser Städte redet, kann hier entscheidend sein. Lassen wir deshalb das Wort der Wahrheit reden, ohne jede menschliche Einschränkung.

Zunächst seien einige Worte aus dem Mund des Herrn selbst angeführt, die er über diese Städte ausgesprochen hat. In Matth. 10, 14.15 sagt der Herr: „Und wer irgend euch nicht aufnehmen, noch eure Worte hören wird, - geht hinaus aus jenem Haus oder jener Stadt und schüttelt den Staub von euren Füßen. Wahrlich, ich sage euch, es wird dem Lande von Sodom und Gomorra erträglicher gehen am Tage des Gerichts, als jener Stadt.“ Ebenso sagt der Herr in Matth. 11, 20-24, daß es dem Sodomer Land im Gericht erträglicher gehen werde als den Städten, in denen seine meisten Wunderwerke geschehen sind.

Ja, er fügt die inhaltsschweren Worte hinzu: „Wenn in Tyrus und Sidon die Wunderwerke geschehen wären, die unter euch geschehen sind, sie hätten in Sack und Asche Buße getan, und wenn in Sodom die Wunderwerke geschehen wären, die in dir geschehen sind, es wäre geblieben bis auf den heutigen Tag.“

Es sei hier nicht untersucht, warum Gott denen keine Wunderwerke zeigte, die doch gründlich in Sack und Asche Buße getan hätten, so daß sie stehen geblieben wären bis auf den heutigen Tag, während er sie denen durch seinen eigenen geliebten Sohn zeigen ließ, von denen er von jeher wußte, daß sie in ihrer Halsstarrigkeit keine Buße tun würden. Die Gerechtigkeit Gottes und seine Weisheit sind so über allen Zweifel erhaben, daß es für einen Gläubigen gar keiner Untersuchung bedarf, um sie erst zu erweisen. Zudem ergibt sich die Antwort hierauf ganz von selbst aus dem Kapitel über die Rechtsfrage. Doch sei an dieser Stelle auf die Wirkung hingewiesen, die eine solche ungeklärte Sache auf einen zweifelnden Bibelleser oder kritischen Hörer ausübt, der nach Gerechtigkeit verlangt und hier aus dem Mund des Herrn selbst hören muß, daß Gott denen keine Gelegenheit zur Buße gibt, die sie getan hätten, wenn er ihnen die Wunderwerke gezeigt hätte; während er denen Gelegenheit zur Buße gibt. von denen er im voraus weiß, daß sie diese Gelegenheit nicht benutzen. Nach dem Zeugnis der Schrift sind wir schuldig, einem jeglichen Menschen gegenüber „zur Rechenschaft bereit zu sein über den Grund der Hoffnung, die in uns ist“ (1. Petr. 3, 15). Nun bezeugt aber die Schrift, daß „Gerechtigkeit und Gericht seines Thrones Grundfeste sind“ (Ps. 89, 14; 97, 2). Ohne daß die Rechtsfrage geklärt ist, wird darum alles weitere Zeugnis von Gott hinfällig.

Warum konnte der Herr solche Aussprüche tun, ohne fürchten zu müssen, die Gerechtigkeit seines Vaters in Mißkredit zu bringen?

Gehen wir einfach weiter, und suchen wir zu ergründen, auf welche Worte der Schrift der Herr sich stützen konnte, er, der in den schwersten Stunden seines Lebens nur einen Beweis hatte: „Es steht geschrieben“ (Luk. 4. 4). Schlagen wir die Stellen der Schrift nach, in denen von der Zukunft Sodoms geredet wird.

Um des Zusammenhangs willen lese man das ganze Kapitel Hes. 16. Vor allem beachte man dabei,  daß der Herr sagt, daß Sodom und Gomorra, die kleineren Schwestern Jerusalems, nicht gesündigt haben gleich der Hälfte der Sünden Jerusalems; ebenso Samaria. Um dieser furchtbaren Sünden willen wird deshalb auch Jerusalem eine furchtbare Strafe erleiden. Aber der Herr hat verheißen, daß er „ganz Israel retten will“ (Röm. 11, 26). Die „Auswahl des Volkes“ hat es aus Gnaden erlangt, die verstockte Masse des Volkes aber wird gerettet durch Gerechtigkeit und Gericht. Und also, d.h. nach diesen beiden Methoden, durch Gnade und Gericht, werden wird ganz Israel gerettet.

Rettet der Herr aber ganz Israel, dann kann er auch die nicht länger im Gericht sitzen lassen, die nicht gesündigt haben gleich der Hälfte der Sünden Jerusalems. Er bezeugt es deshalb auch klar und unzweideutig, daß er nicht nur Jerusalem wiederherstellen wird, sondern auch Sodom und Gomorra. Er verheißt, daß er Sodom, das durch die Überzahl der Sünden Jerusalems gerechtfertigt dasteht, aus der Gefangenschaft führen will, daß es getröstet werden soll, und daß es samt seinen Tochterstädten wiederhergestellt werden soll in seinen früheren Zustand. Man lese hierzu besonders aufmerksam die Verse 46-55. - Also, gerechtfertigt, getröstet, aus der Gefangenschaft entlassen und zu dem früheren Zustand zurückgekehrt, so sollen sie einmal dastehen.

Wunderbar ist es, daß er zu dem Missionsdienst an Sodom, Gomorra und Samaria mit ihren Tochterstädten ausgerechnet die viel größere Sünderin Jerusalem benutzt. Wie wenig würdig wird sich Jerusalem für diesen Dienst vorkommen angesichts seiner mehr als doppelt so vielen Sünden! - Das aber ist der Weg, den der Herr in seiner Weisheit und Güte Jerusalem zugedacht hat, damit es sich schämen lerne, wenn es trotz seiner vielen Sünden zum Dienst an denen gebraucht wird, die besser sind, als es selbst ist. Da wird sich auch an diesem halsstarrigen Volk das Wort erfüllen: „Weißt du nicht, daß Gottes Güte dich zur Buße leitet?“ (Röm. 2. 4).

Am Eingang dieses Abschnitts hatten wir festgestellt, daß Sodom und Gomorra nach dem Zeugnis der Schrift (Judas 7) des ewigen Feuers Pein (oder Strafe) leiden. Nicht nur hat der Herr damals die Häuser und Felder durch Feuer und Schwefel verwüstet, sondern die Bewohner nach dem völlig eindeutigen Wort der Schrift in des ewigen Feuers Pein gebracht, um den Gottlosen an diesem Gericht zu zeigen, daß er seine Drohungen auch ausführt. Was er in jenem vorliegenden Beispiel des ewigen Gerichts mit Sodom und Gomorra tat, wird er in dem groß­en Gericht des Endes mit allen denen tun, die widersprechend und lästernd gegen ihn redeten und ihn als den alleinigen Gebieter verleugneten (Judas 4. 15; 1. Joh. 4, 1-6; Offb. 19, 19-21; 20, 11-15).

Bedeutet ewig einfach endlos, dann kommt niemand aus diesem Feuer wieder heraus. Sodom und Gomorra leiden aber des ewigen Feuers Pein und kommen doch wieder heraus. Wer es wagen will, angesichts solcher klaren Stellen, zu denen sich im Laufe unserer Betrachtung noch viele hinzugesellen werden, zu behaupten, ewiges Gericht bedeute endloses Gericht, der muß selbst zusehen, wie er mit Offb. 22, 18.19 fertig wird.

Ewig und Ewigkeit

An dem Beispiel des ewigen Gerichts konnten wir ersehen, daß ewig nicht endlos bedeutet. Eine Reihe von Stellen in der ganzen Schrift Alten und Neuen Testaments möge dies weiter bestätigen und zugleich erweisen, was die Schrift unter ewig und Ewigkeit versteht.

Würde Ewigkeit Endlosigkeit bedeuten, dann gäbe es nur eine Endlosigkeit; weil sie nie ein Ende nähme, könnte nie eine zweite Endlosigkeit beginnen. Schon allein die Tatsache, daß es nach dem Zeugnis der Schrift viele Äonen (Ewigkeiten oder Zeitalter) gibt, wäre Beweis genug, daß Ewigkeit nicht Endlosigkeit bedeuten kann. Diese Eigenschaft wird überhaupt keinem Wesen noch irgendeiner Sache zugesprochen, als allein Gott, bzw. dem Sohn, von dem die Schrift bezeugt, daß er „nicht Anfang der Tage noch Ende des Lebens hat“ (Hebr. 7, 3). Von den Ewigkeiten oder Zeitaltern wird aber ausdrücklich in der Schrift gesagt, daß sie einen Anfang haben und ein Ende.

2. Tim, 1, 9 spricht von einer Tätigkeit Gottes in Christo Jesu, die vor den äonischen Zeiten stattfand. Die Wirksamkeit Gottes ist also nicht an den Lauf der Zeitalter gebunden. Viel­mehr ist der Sohn Gottes nach dem Zeugnis der Schrift der „Vater der Äonen“. Man vergleiche hierzu nur einmal Jes. 9, 6, wo einer der Namen des Sohnes lautet: „Vater der Ewigkeit“ (Luther: „Ewigvater“), mit Hebr. 1, 2, wo nach dem Grundtext gesagt ist, daß der Vater „durch den Sohn die Äonen gemacht hat“. Genauere Übersetzungen, wie z. B. die Textbibel von Kautzsch-Weizsäcker oder die Original-Schlachter-Übersetzung, geben dies auch wörtlich so wieder: „Durch den er auch die Weltzeiten gemacht hat.“ Überdies gibt jedes Wörterbuch des Griechischen das Wort Äonen auch mit Zeitalter oder Weltzeiten oder Weltzeitalter wieder. Während es bei Gott, der keinem „Schatten noch Wechsel des Lichtes unterworfen ist“ (Jak. 1, 17), keinerlei Zeit gibt, die alt werden oder veralten kann, ist die sichtbare Welt der Vergänglichkeit unterworfen, und alles Weltgeschehen ist in eine Reihe von Zeitaltern eingeordnet, die nach dem Plan der Zeitalter ihren Lauf nehmen, bis Gott, der ursprünglich alles in einem war, alles in allem geworden ist.

Dann ist das Ende der Zeitalter herbeigekommen, und es wird nach dem Zeugnis der Schrift keine Zeit mehr sein. Alles Erschaffene ist dann aus dem Wechsel der Vergänglichkeit herausgenommen und in den göttlichen Zustand der Vollkommenheit versetzt.

In Tit. 1, 2 gebraucht Paulus auch den Ausdruck: „vor äonischen Zeiten“. Und so, wie die äonischen Zeiten, die Äonen oder Zeitalter, einen Anfang hatten, nehmen sie auch ein Ende, und zwar jedesmal dann, wenn eine „Zeit“ erfüllt ist. So fragen die Jünger in Matth. 24, 3: „Was ist das Zeichen deiner Ankunft und der Vollendung des Zeitalters?“  Weiter fragen sie in Apg. 1, 6: „Herr, stellst du in dieser Zeit dem Israel das Reich wieder her?“

Sehr schön gibt die unrev. Elberfelder Übersetzung die Bedeutung des Wortes Ewigkeit in der Fußnote zu Prediger 1, 10 wieder. Dort steht im Text: „... in den Zeitaltern, die vor uns gewesen sind.“ Die Fußnote lautet: „Eigentlich: nach Ewigkeiten (unabsehbar langen Zeiträumen) gemessen.“ Es ist nur zu bedauern, daß diese wirklich gute und brauchbare Übersetzung die eigentliche Wiedergabe oft in die Fußnote setzt, dafür aber im Text nur eine abgeschwächte Wiedergabe bietet. Man vergleiche hierzu nur einmal in der unrev. Elbf. in Hebr. 13, 20 die Anmerkung zum Wort „wiederbrachte“, wo die eigentliche Bedeutung in der Fußnote steht, nämlich: „der Wiederbringer aus den Toten: eine charakteristische Bezeichnung Gottes“. Ganz davon zu schweigen, daß wichtige Fußnoten mit der eigentlichen Wiedergabe, die sich noch in den älteren Ausgaben finden, einfach weggelassen sind: z.B. die Fußnote zu Matth. 26, 24. Die achte, sorgfältig durchgesehene Ausgabe des Neuen Testaments hat noch zu dieser Stelle die Fußnote: „Eigentlich: Es wäre ihm gut, wenn jener Mensch nicht geboren wäre.“ In den letzten Ausgaben hat man diese unbequeme Fußnote einfach weggelassen, obwohl eine ganze Reihe englischer, dänischer und deutscher Übersetzungen diese Wiedergabe als die richtige in den Text aufgenommen haben. (Von den deutschen siehe De Wette.)

Sehen wir uns noch eine Reihe von Schriftstellen an, in denen von der Mehrzahl der Äonen geredet ist. So redet der Herr davon, daß die schlimmste aller Sünden, die Lästerung des Geistes, nicht vergeben werde, weder in diesem Zeitalter, noch in dem zukünftigen. Er nennt hierfür also nur zwei Zeitalter, und es wäre Vermessenheit, wenn wir hier von vielen reden wollten, wo er selbst nur von zweien redet (Matth. 12, 32). Da aber, wo er von dem Ausschütten seiner Gnade und Güte redet, spricht er von den kommenden Zeitaltern, also von einer Mehrzahl (Eph. 2, 7).

Weiter vergleiche man Eph. 3, 9-11 (siehe hierzu auch die Anmerkung in der Elbf.); Eph. 1, 10; 1. Tim. 1, 17; 2. Tim. 1, 9; 2. Tim. 4, 18 mit Anmerkung; Judas 25 mit Anmerkung; Eph. 3, 21; Kol. 1, 26; Offb. 1, 6 mit Anmerkung; Offb. 1, 18; 4, 9.10; 20, 10 und viele andere. Aus allen diesen Stellen geht eindeutig hervor, daß es eine Fülle von Äonen gibt, daß der jetzige Äon oder das jetzige Zeitalter dem zukünftigen und den zukünftigen gegenübergestellt wird, daß ferner vom Ende des Zeitalters die Rede ist, sowie von einem Zustand vor den Zeitaltern. Es wäre schon rein sprachlich völlig unsinnig, das Wort: „Von Ewigkeit zu Ewigkeit“ so wiedergeben zu wollen: „Von einer Endlosigkeit zur anderen“, wenn tatsächlich die erste Ewigkeit schon endlos wäre!

Betrachtet man Stellen, wie z.B. Prediger 1, 4, so scheint doch gerade im Gegensatz zu der Vergänglichkeit des Menschen die Bedeutung des Wortes ewig hier auf alle Fälle mit „unvergänglich“ wiederzugeben zu sein. Und dennoch bezeugt uns der Herr selbst: „Himmel und Erde werden vergehen“ (Matth. 5, 18), und in 2. Petr. 3, 10-13 finden wir den Untergang der Erde im Feuerbrand beschrieben.

In Jes. 32, 14 wird gesagt, daß Jerusalem auf ewig verwüstet sei, während Vers 15 fortfährt: „bis der Geist über uns ausgegossen wird aus der Höhe und die Wüste zum Fruchtgefilde wird.“

Wenn in 2. Mose 21, 6 gesagt wird, ein Knecht solle seinem Herrn dienen auf ewig, so soll dies doch wohl heißen, so lange er lebt.

Prof. König, Bonn, einer der besten Kenner des alten Textes, schreibt in einer Beurteilung des Buches von Rudnitzky „Ewigkeit und Allversöhnung“: „Ewig bedeutet: Für die Zeit gültig, für die etwas bestimmt ist.“

An verschiedenen Stellen der Schrift kann man direkt ersehen, wie lange eine Ewigkeit dauert, bzw. was Gott unter ewig versteht. Betrachten wir zunächst 5. Mose 23, 4. 7 (3. 6.). Dort wird uns gesagt, daß kein Israelit das Wohl der Ammoniter und Moabiter suchen dürfe ewiglich. Kein Ammoniter und Moabiter soll in die Versammlung des Herrn kommen ewiglich, auch das zehnte Glied nicht.

Wie meint Gott dieses Gebot, und wie stellt er sich selbst zu diesem Fluch über die Ammoniter und Moabiter?

Man lese hierzu nur einmal das Geschlechtsregister des Herrn in Matth. 1, 1-5. Da versteht man den Ausdruck: „ewiglich, auch das zehnte Glied nicht.“ Gott selbst kann es kaum erwarten, bis diese zehn Geschlechter jenes Zeitalters des Fluches über Moab vorüber sind, dann reiht er selbst im elften Glied Ruth, die Moabitin, als heiligen Anbruch ihres Volkes in das Geschlechtsregister seines eigenen geliebten Sohnes. Es ist ergreifend, zu sehen, wie das Vaterherz Gottes nicht länger wartet, als er sich selbst durch den Fluch über Moab gebunden hat. Die ewige Dauer des Fluches über Moab ist auf zehn Geschlechter festgesetzt. Gott wartet kein einziges Geschlecht länger, als er selbst angegeben hat. So brennt sein Herz, daß im elften Glied das Geschlecht der Moabiter wieder eingefügt wird. So meint er es, wenn er sagt: „Kein Ammoniter und Moabiter soll in die Versammlung des Herrn kommen ewiglich, auch das zehnte Glied nicht.“ Ja, hier kann man wirklich sagen, wie Prof. König es tut: „Für die Zeit gültig, für die es bestimmt ist.“

Weiter sagt Gott: „Moab muß vertilgt werden“ (Jer. 48, 42-44) und: „Ammon muß dem Feuer zur Speise werden, und man wird sein nicht mehr gedenken“ (Hes. 31, 33.37). Dennoch sagt derselbe Gott in Jer. 48, 47 und 49, 6, daß er die Gefangenschaft Moabs und Ammons wenden will am Ende der Tage. Welche Parallelen zu dem Beispiel Sodoms und Gomorras! Wer hier noch behauptet, ewig bedeute endlos, schafft Widersprüche in die Schrift, die es in Wirklichkeit gar nicht gibt, weil ewig einfach nach dem Sinn des Wortes äonisch, zeitalterlang bedeutet. Nur dann hat es auch einen Sinn, zu sagen: Von einem Äon zum anderen, - von Äon zu Äon, - von Zeitalter zu Zeitalter.

Von der Betrachtung weiterer Stellen sei hier abgesehen. Wer dogmatisch gebunden ist, dem wird diese Frage genauso wenig rein grammatikalisch gelöst werden, wie die Frage nach der Gottessohnschaft oder die Frage der Auferstehung. Alles dies ist letzten Endes Sache des Glaubens und der Erkenntnis, und die kann man sich beide nicht selbst geben; sie sind Gottesgeschenke. Und gerade für die Erkenntnis der Bedeutung des äonischen Gerichts gilt das Wort des Herrn in Matth. 11, 24-27, daß dies den Weisen und Klugen verborgen sei. Wie oft wird dieses Wort falsch angewandt an allen möglichen und unmöglichen Stellen, indem mit einer kleinen Textfälschung gesagt wird: „Den Weisen und Klugen ist es verborgen.“ Unter diesem „es“ kann man sich allerhand vorstellen; meist versteht der Redende darunter das Evangelium. Die Bedeutung des Wortes ist aber beschränkt auf das Verständnis des ewigen Gerichts, bzw. des Plans der Zeitalter. Man beachte, daß der Herr in den vorhergehenden Versen von dem Gericht spricht, und daß es dann weiter heißt: „Zu jener Zeit hob Jesus an und sprach: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, daß du dies vor Weisen und Klugen verborgen hast, und hast es Unmündigen geoffenbart.“ Aus dieser Stelle geht hervor, daß das Wesen des Gerichts nicht mit dem Verstand ergründet, sondern nur durch Offenbarung übermittelt werden kann. Diese Offenbarung erhalten die Unmündigen, bei denen die Liebe überströmt in Erkenntnis und aller Einsicht.

Der Plan der Zeitalter ist nicht allen erschlossen. In diesem Punkt haben zu allen Zeiten etliche Gläubige Schiffbruch erlitten.

Die Ursache zu dem vorstehenden Urteil des Herrn in Matth. 11, 24-27 war die Frage des Johannes in den Versen 2-6 des gleichen Kapitels. Er sollte nach der über ihn geschehenen Weissagung Luk. 1, 67-80 und auch Luk. 1, 30-33 als Herold und Wegbereiter vor dem König hergehen. Darum erwartete er den Herrn in Herrlichkeit. Es war ihm gar nicht geoffenbart, daß der Herr zuvor in Niedrigkeit kommen müsse. Darum konnte er nicht verstehen, daß er als Gefangener nicht in Freiheit kommen sollte, sondern daß der erwartete König seinen Reichsherold im Gefängnis sitzen ließ. Da wurde Johannes irre. Es war also keine Schwachheit im Glauben, sondern in der Erkenntnis.

Ähnlich erging es Petrus und den anderen Jüngern. Sie alle erwarteten den Messias in seiner Königswürde. Darum war es Petrus auch unfaßbar, daß gerade in dem Augenblick, wo sie im Begriff standen, nach der Hauptstadt zu ziehen, der Herr anfing, vom Leiden und Sterben zu reden, anstatt von der Erfüllung der Erwartung des Volkes. Wie groß muß der Schreck für Petrus gewesen sein, so daß er impulsiv hervorstieß: „Herr, schone Deiner selbst. Das widerfahre dir nur nicht“ (Matth. 16, 21 ff). - Dann kam die Zurechtweisung; der Herr ging seinen Weg in Niedrigkeit anstatt in Herrlichkeit.

Nach der Auferstehung aber, als nach den Leiden die Herrlichkeit begann mit der Auferstehung aus den Toten, da fingen die Jünger an zu verstehen, daß sie sich in der Zeit getäuscht hatten. Darum auch die Frage in Apg. 1, 6: „Herr, stellst du in dieser Zeit dem Israel das Reich wieder her?“ - Später durfte Petrus sehen, an welcher Stelle der Erkenntnis er geirrt hatte. Er hatte den Herrn gleich bei seinem ersten Kommen in Herrlichkeit erwartet, während die Propheten durch den Geist Christi, der in ihnen war, davon zeugten, daß der Christus zuvor leiden müsse, und daß die Herrlichkeit erst danach komme. Darum darf auch gerade Petrus, der für sein Mißverständnis jene bittere Lektion vom Herrn bekam, hernach diesen Punkt in seinen Briefen klarstellen (1. Petr. 1, 10-12). Beim Apostelkonzil in Jerusalem ist es wiederum Petrus, der zunächst im Kreise der Jünger feststellt, daß zuerst die Nationen heimgesucht werden; danach sollen als zweite Gruppe die Kinder Israel gerettet werden; die dritte Gruppe, die durch den Dienst Israels gerettet wird, sind die unter den großen Gerichten übriggebliebenen Menschen. Zuletzt aber wird Gott alle Nationen, über die seit Jahrtausenden der Name des Herrn von den Gläubigen aller Zeiten angerufen wird - die aber dahinstarben, ohne daß die meisten überhaupt etwas von ihm gehört hatten - auch zu sich bringen (Apg. 15, 14-17).

So war der Irrtum des Petrus zu einem Segen für ihn geworden. In dem Punkte, in dem er geirrt hatte, bekam er besonderes Licht. Er durfte erkennen, daß Gott die Menschen nicht auf einmal rettet, sondern nach einem ganz bestimmten Plan. In jedem Zeitalter ruft er die herzu, die zu der Zeit gerettet werden sollen.

Er, der treue Gott, der sich „aller seiner Werke von jeher bewußt ist" (Apg. 15, 18), hat für jedes Zeitalter ein bestimmtes Teilziel. Wenn diese Zeit erfüllt ist, wird sie durch ein göttlich vorgesehenes Ereignis abgeschlossen, und eine andere Zeit beginnt zu laufen (ein anderer Zeitlauf beginnt).

Möge der Ewigtreue, der aus der Finsternis Licht leuchten lassen kann, auch uns ins volle Licht stellen und uns seinen geheimen Willen erschließen, den Vorsatz nämlich, den er gefaßt hat für die Verwaltung der Fülle der Zeiten! (Eph. 1, 9.10).

Ich-Versöhnung und All-Versöhnung

Gott hat bei sich selbst beschlossen, das All unter ein Haupt zu bringen (Eph. 1, 10). Er will, daß alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen (1. Tim. 2, 4). Alle Knie sollen sich ihm beugen und alle Zungen sollen bekennen, daß Christus der Herr sei, zur Ehre Gottes, des Vaters (Phil. 2, 9-11). Ja, alle Zungen werden bekennen und sagen: „Im Herrn habe ich Gerechtigkeit und Stärke“ (Jes. 45, 22-24). Zu ihm werden umkehren und sich schämen alle, die wider ihn entbrannt waren (Vers 24). Denn Jahwe Gott will auch unter den Empörern eine Wohnung haben (Psalm 68, 19 [18]; Eph. 4, 8-10). Selbst die stumme Kreatur soll erhoben werden zu derselben herrlichen Freiheit, wie die Kinder Gottes auch (Röm. 8, 19-21). Darum wird auch die Kreatur aufgefordert, ihn zu loben und ihm zu danken (Psalm 148). Damit sie dies einmal kann, will er seinen Geist ausgießen auf alles Fleisch (Joel 3, 1 [2, 28]). Man beachte hierbei, daß Petrus diese Stelle bei der ersten Ausgießung des Heiligen Geistes an Pfingsten wunderbar genau zitiert, indem er sagt: „Ich will von meinem Geist ausgießen auf alles Fleisch.“ Der Frühregen ging nur über einen Teil der Menschen, aber nicht über alles Fleisch. Es gibt verschiedene Arten „Fleisch“. Was Gott darunter versteht, lesen wir in 1. Kor. 15, 39. Er hat nicht nur mit dem Menschen einen Bund geschlossen, sondern mit allem Fleisch (1. Mose 9, 8-17). Wenn dieser Bund erfüllt ist, wird alles, was Odem hat, den Herrn loben. Darum ist dies auch das letzte Wort im Buch der Lobgesänge des Herrn (Psalm 150, 6). Siehe hierzu auch Offb. 5, 13.

Gott will also nach den vorstehenden Schriftzeugnissen das ganze All unter ein Haupt bringen und alle lebendigen Wesen in die herrliche Stellung der Sohnschaft einführen. Dies tut er aber nicht auf einmal, sondern nach dem wohlbedachten Plan der Zeitalter etappenweise. Er wählt eine Körperschaft nach der anderen heraus, damit durch sie nachher andere gerettet werden sollen im Himmel und auf Erden. Damm ist auch die Berufung und Erwählung nur ein Mittel zum Zweck, die anderen durch die zuvor erwählten Werkzeuge auch retten zu lassen. Berufung und Erwählung haben es nie mit Leben und Tod, bzw. Errettung und Verdammnis zu tun, sondern Berufung hat es mit heiligem Dienst und Beruf zu tun, und Erwählung geschieht zu dem Zweck der Segensvermittlung an andere.

Ein Beispiel hierfür haben wir an Israel. Das ganze Volk durfte in den Vorhof eingehen. Gnade war da für alle. Aber berufen zu heiligem Dienst und Beruf waren nicht alle, sondern viele, nämlich die 22000 Leviten. Aber auserwählt zur Segensvermittlung zwischen Gott und dem Volk waren nur wenige, nämlich Aaron und seine Söhne nach ihm.

So sagt auch das Neue Testament, daß Gnade da sei für alle Menschen (Tit. 2, 11; Matth. 22, 14), aber berufen seien viele, und auserwählt wenige.

So hat auch Gott Jakob geliebt, obwohl er ein Überlister war; aber der Gewaltmensch Esau kommt zur Durchführung der Verheißungen nicht in Betracht. Dennoch wird auch Esau von Gott gesegnet. Fürsten darf er zeugen und zu einem großen Volk werden, eher denn Jakob (1. Mose 36). Doch als Träger der Verheißung kommt er für Gott nicht in Frage, sondern ver­fällt der Ablehnung. Der Haß Gottes und die Liebe Gottes sind also nicht menschlichem Haß und menschlicher Liebe gleichzusetzen. Sie richten sich nicht nach dem Wert oder Unwert der einzelnen Persönlichkeiten, sondern nur nach den erhabenen Grundsätzen göttlicher Weisheit, die maßgebend sind für die gottgemäße Hinausführung des Plans der Zeitalter.

In diesen Plan eingeordnet ist auch unsere Errettung. Sie war bei ihm beschlossen vor Grundlegung der Welt (Eph. 1, 4). Der Anstoß ging also nicht von uns aus, sondern von ihm. Dar­um singt auch der Dichter:

Hätt'st Du Dich nicht zuerst an mich gehangen,
Ich wär von selber nie Dich suchen gangen.

Und ein anderer bezeugt:

Hattest längst nach Deinem Schaf getrachtet,
Eh es auf des Hirten Ruf geachtet.

Unsere Errettung beginnt also durchaus nicht mit unserer Bekehrung, sondern nachdem Gott sein Werk der Zeugung zu einer neuen Kreatur in uns vollbracht hat, kehren wir um von der Welt weg. Unser Tun ist also erst die Folge eines Tuns Gottes.

Inwieweit der Mensch sich diesem Tun Gottes widersetzen kann, soll in dem Abschnitt von der Willensfrage behandelt werden. Hier sei zunächst nicht von den ablehnenden Gottlosen die Rede, sondern von den bewußt gläubig Gewordenen. Für sie sei festgestellt, daß die Ursache ihrer Errettung nicht in ihnen lag, sondern in Gott (2. Tim. 1, 9; Eph. 1, 3-5; 2, 1-10 u. a.). Sie können auch singen:

Nein, ich kann's nicht fassen, wie es möglich war;
Mir ist's unbegreiflich und zu wunderbar;
Doch Er hat's nun einmal so mit mir gemacht,
Mich zum selgen Leben aus dem Tod gebracht.

Es ist etwas Großes und Herrliches, die angebotene Gnade im Glauben ergreifen zu dürfen und in der persönlichen Gewißheit seiner Errettung und seines Heils zu stehen. Doch immer im Blick auf den Gesamtwillen Gottes, der bei sich selbst beschlossen hat, das ganze All zu retten. Dann preisen wir die Gnade, die uns zuerst errettet hat, und zwar zu der Zeit, in welcher wir an die Reihe kommen sollten (Eph. 2, 8-10; 1. Tim. 4, 10; 2. Tim. 1, 9; Apg. 13, 48; Röm. 8, 30; Tit. 3, 4-6; Röm. 11, 5-7 u. 25-36).

So notwendig es ist, persönlich zu erfahren, daß man in die Sohnschaftsstellung gekommen ist, so notwendig ist es aber auch, dabei im Auge zu behalten, daß die Errettung des einzelnen nur möglich ist, weil Gott das ganze All mit sich selbst versöhnt hat. „Denn Gott war in Christo und versöhnte die Welt mit sich selbst“ (2. Kor. 5, 19). „Es war das Wohlgefallen der ganzen Fülle, in ihm (Christo) zu wohnen und das All (ta panta) mit sich selbst zu versöhnen“ (Kol. 1, 19.20). (Vgl. zu ta panta = das All, die Anmerkung zu Offb. 4, 11 in der unrev. Elbf. Leider gibt die unrev. Elbf. dies nur hier so wieder. An allen anderen Stellen schweigt sie.)

Nur wenn das Ganze versöhnt ist, ist es auch der Teil; nicht aber umgekehrt. Die Ursache, daß man dies häufig nicht sieht, liegt in dem schrankenlosen Subjektivismus, der sich in vielen gläubigen Kreisen breit macht. Er ist die Reaktion auf die starre Rechtgläubigkeit, die vielfach zum toten Formenwesen wurde und wie ein Vorhang zwischen Gott und dem Menschen hing. Als das persönliche Erleben des Heils wieder in den Vordergrund trat, war diese Reaktion auf das Vorhergehende so stark, daß die objektiven Gottestaten zu unserer Errettung nicht mehr als Wichtigstes beachtet wurden, sondern die Bekehrung des gottsuchenden Menschen zur Hauptsache wurde.

Man beachte nur einmal, wie auf dieser Linie der Selbstbekehrung die Schrift dargeboten wird. Als Beispiel diene das sogenannte Gleichnis vom verlorenen Schaf (Luk. 15, 3-6). Wie wird da ausgeschmückt und erzählt, wie es dem Schaf nicht mehr bei dem Hirten gefallen habe, wie es sich von der Herde löste, wie es sich verirrte, wie es in den Dornen hing, wie es schrie, wie es Angst hatte vor dem Wolf, wie es gesucht wurde, bis es schließlich gefunden wurde. Wie froh war es dann, als es auf der Schulter des guten Hirten lag, der es heimtrug!

Man spürt es dieser Darbietung direkt ab, wie ein Mensch all sein eigenes seelisches Erleben hineinlegt, wie er die dargebotene Gelegenheit benutzt, um sich unbewußt als verlorenes Schaf in der Hauptrolle wichtig zu fühlen und zuletzt in der Über­schrift sich selbst und sein Erlebnis zum Ausdruck zu bringen.

Hat diese Geschichte wirklich diese Tendenz?

Der Text spricht von einem Menschen. Er hat hundert Schafe. Er verliert eines. Er läßt die neunundneunzig in der Wüste. Er geht dem verlorenen nach. Er sucht es. Er findet es. Er legt es auf die Schultern. Er trägt es heim. Er ruft die Freunde und Nachbarn. Er spricht zu ihnen: Freuet euch mit mir; denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war.

Wie ganz anders liest sich das! Wie wird der Hirte in den Vordergrund gebracht! Er ist der Handelnde. Er sollte auch in der Überschrift stehen. Vielleicht könnte die Geschichte dann heißen: Das Gleichnis von der suchenden Hirtenliebe; aber nicht mehr sollte sie heißen: Vom verlorenen Schaf.

Auch hier gilt es, die scheinbaren Gegensätze zu einer höheren Lebenseinheit zusammenzufassen, sodaß auf dem Boden objektiver Gottesoffenbarung das subjektive Gotteserleben stattfindet. Dann hängt doch unser Erleben nicht mehr in der Luft und wird nicht mehr von dem klaren und nüchternen Geistesboden auf den schwankenden Boden seelischer Gefühle abgedrängt.

Wer immer nur mit sich selbst beschäftigt ist, verliert den Blick für das Ganze. Er hält ein Teilziel für das Endziel. Die eigene Errettung ist ihm der Anfang, und die Errettung der Gläubigen ist ihm das Ende der Wege Gottes. Gott aber will nicht nur, daß alle Menschen gerettet werden, sondern sein Willensentschluß geht dahin, das All (ta panta) unter ein Haupt zu bringen, das, was in den Himmeln und das, was auf der Erde ist (Eph. 1, 10). Darum hat er auch das All versöhnt, es sei „das auf der Erde oder das in den Himmeln“ (Kol. 1, 19.20). Ja, nach Hebr. 9, 11.12 und 23-26 wird das Opfer Christi zur Abschaffung der Sünde so dargestellt, daß es Gott mit dem Kreuzesaltar auf der kleinen Erde vor allem darauf ankam, das gewaltige Weltall zu erlösen. Denn nach Vers 23 besteht doch der Hauptzweck des Opfers Christi darin, die Dinge in den Himmeln durch ein besseres Schlachtopfer zu reinigen, als die Reinigung der Dinge auf Erden vorher geschah.

Gott erbarmt sich aller seiner Werke. Er ist kein Privatgott für den ichbekehrten Menschen, sondern der Vater über alles; der die Welt liebt, auch wenn sie ihm widerstrebt, und der seine Liebe dadurch preist, daß er den Feinden und Sündern den geliebten Sohn opfert, auch wenn sie es vorläufig nicht verstehen. Wo die Feindschaft wider ihn am größten war, auf Erden oder im Himmel, das steht nach der Schrift außer allem Zweifel. Dort sind die Fürsten und Gewaltigen, deren oberster Fürst zu einer bestimmten Zeit mitsamt seinem Anhang aus den Himmeln herabgeworfen wird auf die Erde. Wie aber wird das Vaterherz jauchzen, wenn zu ihm umkehren und sich schämen alle, die wider ihn entbrannt waren. Dann werden die einstigen Empörer auch wohnen bei Gott. Und welcher Schuldner wird ihn dann wohl am meisten lieben? - Ich denke der, dem er am meisten geschenkt hat.

So teilen auch die Engelwelten das Los des Menschen in bezug auf Gericht und Errettung. In Jesaja 24, 21.22 sagt die Schrift: „Und an jenem Tage wird Jahwe mit Strafen heimsuchen das Heer der Höhe in der Höhe und die Könige der Erde auf Erden; wie man Gefangene einsperrt, werden sie in eine Grube gesperrt und unter Verschluß getan und erst nach langer Zeit in Gnaden heimgesucht werden.“ (Textbibel von Kautzsch-Weizsäcker).

Die Ordnung der Errettung wird allerdings die umgekehrte sein wie bei der Erschaffung. Während die Engel zuerst erschaffen wurden und schon bei der Gründung der Erde zugegen waren (Hiob 38, 4-7), rettet Gott zuerst die Menschen und dann die Engel. Denn bei ihm werden „die Ersten die Letzten sein, und die Letzten werden die Ersten sein“ (Matth. 19, 30). Durch die Erstlinge des Geistes läßt er seine Gottesverheißungen aus- und durchführen. (2. Kor. 1, 20 [„durch uns“]; Röm. 8, 18-23). Darum hat er auch der Gemeinde keine Segnungen und Aufgaben auf Erden gegeben, sondern in den himmlischen Örtern (Eph. 1, 3). Wenn wir einmal durch alle Himmel hindurchfahren, wie er hindurchgefahren ist (wir müssen in allem ihm gleichgemacht werden), dann werden wir Stern bei Stern alle Gaben und alles zur Ausrüstung Notwendige finden, um unsere Aufgaben an jenen Wesen zu erfüllen, denen wir heute bereits zum Erweis der mannigfaltigen Weisheit Gottes gesetzt sind (Eph. 3, 10). Und im letzten großen Endkampf, den das Lamm gegen das Tier und seine Bundesgenossen führt, siegt es, weil es selbst der Herr der Herren und der König der Könige ist, und weil seine Kampfgenossen Berufene und Auserwählte und Treue sind (Offb. 17, 14). Um aber für jenen bösen Tag gerüstet zu sein, sollen wir uns schon heute im Gebrauch der ganzen Waffenrüstung Gottes üben (Eph. 6, 11-13).

Angesichts solcher allumfassenden Retterpläne Gottes sich nur mit der eigenen Errettung zu beschäftigen, heißt das große Endziel aus dem Auge lassen und den Kampfpreis der Berufung Gottes verlieren (Phil. 3, 14).

Möge er es uns schenken, daß wir uns nicht pharisäisch an uns und unserem eigenen Heil genügen lassen, sondern daß unser Gerettetsein uns auch Rettersinn gibt! Dann werden wir auch nachsinnen über die Verlorenen und die in die Finsternis Hinausgestoßenen, wie er darüber nachsinnt, daß der Verstoßene nicht von ihm weg verstoßen bleibe (2. Sam. 14, 14).

Die Frage nach den Andern

Am Anfang der Menschheitsgeschichte steht der erste Sprößling des gefallenen Menschen und mordet seinen Bruder. Seiner üblen Gesinnung verleiht er Ausdruck in der Frage:

„Soll ich meines Bruders Hüter sein?“ Am Ende der Weltgeschichte aber steht der große Gott und offenbart seine Gesinnung darin, daß er darüber nachsinnt, daß der Verstoßene, den er hinausstoßen mußte in die äußerste Finsternis, nicht von ihm weg verstoßen bleibe.

Welche von beiden Gesinnungen soll in dir und mir wohnen? Die, die in Christus Jesus auch war, der sich selbst zu nichts machte, damit einmal alle ihn als Herrn preisen (Phil. 2, 5).

Es gibt nicht nur unter den Weltmenschen Kainiten, sondern leider auch unter den Gläubigen. Bei ihnen geht es nach der Melodie und nach der falschen Betonung: „Wenn ich ihn nur habe, laß ich gern die andern breite, lichte, volle Straßen wandern.“

Gott ist vollkommen in seinem Wesen, in seinem Tun und in seiner Gesinnung. Er erbarmt sich aller seiner Werke (Psalm 145, 9; 36, 7 [6]). „Alle hat er in den Unglauben eingeschlossen, damit er sich aller erbarme“ (Röm. 11, 32). Der Zorn Gottes bringt das Gericht restlos zur Ausführung; aber wenn es ausgeführt ist, „triumphiert die Barmherzigkeit über das Gericht“ (Jak. 2, 13).

Wir sollen ihm gleichgemacht werden in allem, auch in der Gesinnung. Darum sollen wir auch in der Barmherzigkeit vollkommen sein, weil unser Vater im Himmel vollkommen ist (Matth. 5, 48). Und mit demselben Maß, mit dem wir messen, wird uns auch gemessen werden (Matth. 7, 2). Die traurige Gesinnung des Schalksknechtes aber fand sich nicht bei einem, der nicht wußte, was Vergebung war, sondern bei einem, dem viel vergeben war. Und Jona, obwohl ein Prophet, wollte nicht nach Ninive, weil er im voraus wußte, daß der Herr gütig ist (Jona 4, 1-4 und 9-11). Auch der ältere Bruder konnte in seiner gesetzlichen Einstellung die Liebe des Vaters nicht verstehen, der den verlorenen Sohn wieder ans Herz nahm (Luk. 15, 28-30).

Wie viele „ältere Brüder“ mag es in unseren Reihen geben, die darum so scheel sehen, weil der Herr so gütig ist? - Wie viele Jonas mag es unter uns geben, die sich erzürnen, weil er sich der Verlorenen und sogar des Viehs erbarmt? (Ps. 36, 7 [6]). Wie viele Schalksknechte vergessen in demselben Augenblick die Schenkung ihrer großen Schuld, wenn sie gerade im Begriff sind, die anderen für immer auszustoßen in die äußerste Finsternis, wo sein wird Heulen und Zähneknirschen? -

Gott aber sinnt darauf, daß der Verstoßene nicht von ihm weg verstoßen bleibe! (2. Sam. 14, 14)

Der Erstling und das Vorbild der Gemeinde, Paulus (1. Tim. 1, 15-17), dem Gott das Geheimnis der Verstockung Israels aufgeschlossen hat (Röm. 11, 25), sinnt über die Verlorenen seines Volkes nach, bis die brennende Liebe zu diesen Verlorenen den Wunsch in ihm geboren werden läßt, Christus möge ihn mit einem Fluche von sich wegstoßen, wenn dadurch die Verlorenen Israels gerettet werden könnten (Röm. 9, 1-5). Er schließt seinen Gebetswunsch mit einem „Amen“.

Uns aber, die wir so wandeln sollen, wie wir ihn zum Vorbild haben (Phil. 3, 17), ermahnt er vor allen Dingen, daß wir Flehen, Gebete, Fürbitten und Danksagung tun sollen für alle Menschen. Viele Ermahnungen gibt er den Gläubigen in seinen Briefen; allen Ermahnungen voran stellt er diese eine, die ihm „vor allen Dingen“ geht (1. Tim. 2, 1).

Was der Apostel Paulus redete, kam nicht aus seinem Herzen. Er konnte sagen: „Nicht mehr lebe ich, sondern Christus lebt in mir.“ Ehe die Ermahnung zum Beten für alle Menschen in sein Herz kam, war sie im Herzen Christi Jesu, der den Gottesmördern verzieh und beim Vater für sie betete. Seine Bitten aber wurden vom Vater allezeit erhört (Joh. 11, 42).

Mit welcher Gewißheit der Erhörung können wir für alle Menschen Flehen, Gebet, Fürbitten und Danksagung tun? Welch eine Komödie wäre es, wenn uns der große Gott auffordern würde, für alle Menschen zu beten, ja, sogar schon im voraus für sie Danksagung zu tun, wenn er dabei denken müßte, die Gebete wären doch zum größten Teil nutzlos, weil nur wenige Menschen gerettet werden können!

Wir aber wissen, daß jedes Gebet, das nach seinem Willen geschieht, nicht nur erhört wird, sondern ist. Mag auch die Zeit noch lange gehen, bis wir die Erfüllung schauen, aber sie kommt, weil sie bei ihm bereits beschlossen ist. Unser Gebet ist nur ein Einstimmen in seinen Retterplan, den er im Laufe der Zeitalter hinausführen will. Die Gebete aber, die wir nach seinem Willen tun, können wir in der frohen Zuversicht tun, daß wir die Bitten bereits haben (1. Joh. 5, 14.15). Wenn es überhaupt ein Gebet gibt, das Aussicht hat auf Erhörung, ja, dessen Erhörung bereits versiegelt ist, dann ist es dieses, das nach seinem Willen geschieht, das nach der ausdrücklichen Ermahnung des Apostels „vor allen Dingen“ geschehen soll, weil der Vater selbst will, daß alle Menschen gerettet werden.

Weil zu allen Gebeten, die nach dem Willen Gottes geschehen bzw. mit dem geoffenbarten Gotteswillen in Übereinstimmung stehen, schon die Erfüllung bereitgestellt ist, werden wir auch ermahnt, nicht nur fürbittend aller Menschen zu gedenken, sondern schon jetzt Danksagung zu tun für alle Menschen.

Hast du schon für alle Menschen gedankt? Hast du schon im Glauben den Namen deines Gottes über die Mitbewohner deines Dorfes oder deiner Stadt angerufen, wissend, daß er alle retten wird, über die sein Name angerufen worden ist? (Apg. 15, 17).

Danksagend darfst du auch aller derer gedenken, die vor dir über diese Erde schritten. Alle Geschlechter der Erde sollen gesegnet werden. Auch deine Verwandten nach dem Fleisch sind dabei,  auch die, die zu einer Zeit lebten, als noch kein Evangelium in unserer Gegend verkündet wurde. Er hat mehr Liebe zu ihnen und Barmherzigkeit mit ihnen als du selbst. Darum danksage ihm für sie alle! Er rettet sie schon von sich aus, und erst recht, weil sein Name über ihnen angerufen worden ist. „Das Licht der Welt erleuchtet jeden Menschen, der in diese Welt kommt“ (Joh. 1. 9 mit Anmerkung der Elbf.).

Wenn andere nicht danksagen können für alle Menschen, so wollen wir es tun, du und ich. Und wisse, „so zwei eins werden in einem Gebet nach dem Willen Gottes, so haben sie, um was irgend sie bitten“ (Matth. 18, 19). Viele Beter aber haben nichts, „weil sie übel bitten“ (Jak. 4, 3). Ihr ganzes Gebetsleben dreht sich um die Erfüllung ihrer eigenen Bedürfnisse. Laßt uns bitten auch für die anderen, und laßt uns schon jetzt danksagen für alle!

Die Willensfrage

Über das Ziel des göttlichen Willens sind sich die Gläubigen wohl zum großen Teil einig. Niemand vermag es abzustreiten, daß Gott will, „daß alle Menschen errettet werden und daß alle zur Erkenntnis der Wahrheit kommen“ (1. Tim. 2, 4; Eph. 1, 10). Ebensowenig vermag jemand zu bestreiten, daß es der Vorsatz des geheimen Willens Gottes ist, das All unter ein Haupt zu bringen in dem Christus. Hinsichtlich der Erreichung dieses Zieles aber gibt es Meinungsverschiedenheiten. Während es der einen Seite völlig genügt, daß Gott irgend etwas will - denn was er will, das tut er auch nach dem Zeugnis der Schrift -, erklärt die andere Seite, Gott respektiere den Willen des Geschöpfes so sehr, daß er das Geschöpf nicht retten könne, wenn es nicht wolle.

In welchem Verhältnis steht nun der Wille Gottes zu dem des Menschen? Was geschieht, wenn die Schrift sagt: „Gott will, daß alle Menschen errettet werden“, aber auf der anderen Seite auch sagt: „Ihr habt nicht gewollt“ (Matth. 23, 37)?

Es wäre nun genauso töricht, zu behaupten, der Wille des Geschöpfes spiele für Gott gar keine Rolle, als zu behaupten, es käme nur auf die Entscheidung des Geschöpfes an. Beides ist falsch. Deutlich ist hierbei die philosophische Denkweise des religiösen Menschen zu erkennen, der entweder Gott zum Ausgangspunkt der Philosophie nimmt und in dieser Richtung einseitig weiterdenkt, oder den Menschen als Ausgangspunkt nimmt und von ihm aus seine einseitigen Schlüsse zieht. Die erste Denkrichtung schließt jedes sittliche Handeln des Menschen aus, die zweite macht das sittliche Verhalten des Menschen zur Basis der Beziehungen zwischen Gott und ihm und macht das Handeln Gottes abhängig vom Tun des Menschen.

Gott aber hat es in seiner unergründlichen Weisheit so geordnet, daß weder er selbst zugunsten des Geschöpfes seinen Willen beschränken muß, noch der Wille des Geschöpfes ausgeschaltet wird. Beide kommen zu ihrem vollen Recht. Gott gibt dem Geschöpf Gelegenheit, sich in seinem Wesen zu offenbaren, und auch er hat jede Möglichkeit für sich selbst, den vollkommenen Plan seiner Gottesweisheit zur Durchführung zu bringen.

Einige Beispiele aus der Schrift mögen uns dies veranschaulichen 

In 2. Mose 3, 16.17 gibt Gott seinen Willen mit dem Volk Israel kund. Er sagt dort: „Ich will euch aus dem Elend Ägyptens heraufführen in das Land der Kanaaniter und Hethiter und der Amoriter und der Perisiter und der Hewiter und der Jebusiter, in ein Land, das von Milch und Honig fließt.“

Wie ging es nun mit diesem geoffenbarten Gotteswillen?

Das Volk murrte in der Wüste gegen Gott, obwohl er es so herrlich gerettet und heraufgeführt hatte. Die Kinder Israel klagten: „Wären wir doch in Ägypten gestorben, ... wären wir doch in dieser Wüste gestorben!“ (2. Mose 16, 1 ff).

Was tut Gott auf solche Äußerungen ihres Willens hin?

Er antwortet ihnen gemäß ihrem trotzigen Unglauben und läßt ihnen geschehen, wie sie gesagt haben. Sie dürfen recht haben mit ihrem Willen. Er läßt sie alle in der Wüste sterben bis auf zwei, die sich dem Wunsche des Volkes nicht angeschlossen hatten.

Mose, der Knecht Gottes, will dieses Unheil abwenden und hält dem Herrn vor: „Wenn du sie in der Wüste sterben läßt, werden die Völker ringsum sagen: Er vermochte nicht, sie in das Land zu bringen“ (4. Mose 14, 15.16).

Auch dieses Wort läßt Gott in Erfüllung gehen und läßt die Völker ringsum mit ihren Schmähungen recht haben. Um ihres (der Kinder Israel) Unglaubens willen vermochte er wirklich nicht, sie ins Land zu bringen, gleichwie auch von dem Herrn geschrieben steht: „Er vermochte daselbst nicht viele Wunder zu tun um ihres Unglaubens willen“ (Matth. 13, 58).

Vorher schickt Mose die zwölf Kundschafter aus in das gelobte Land. Sie sind auch alle des Lobes voll über die Kostbarkeiten des Landes. Zehn jedoch erklären: „Wir vermögen nicht hineinzukommen“ (4, Mose 13, 31). Sie dürfen auch recht haben. Ihnen geschieht ebenfalls nach ihrem Glauben. Sie bekannten ja, daß sie nicht hineinzukommen vermöchten. So ließ er es ihnen zu und ließ sie durch eine Plage sterben (4. Mose 13 u. 14).

Zwei von den zwölf Kundschaftern aber bekannten: „Wenn Jahwe Gefallen an uns hat, so wird er uns in dieses Land bringen und es uns geben.“ Auch dieser Glaube ging in Erfüllung, und die zwei Männer, Josua und Kaleb, behielten recht. Sie wurden von ihm in das Land gebracht, während alle anderen starben.

Nun hatten sie alle der Reihe nach einmal recht: Die ungläubigen Kundschafter, die gläubigen Kundschafter, das murrende Volk und die heidnischen Völker ringsum. Allen geschieht nach ihrem Glauben, und ihr Wille geht zunächst in Erfüllung.

Wo aber bleibt der Wille Gottes, der doch durch einen Eidschwur dem Abraham, Isaak und Jakob als unabänderlich zugesagt war?

Gott kann warten. Der Erfüller aller Gottesverheißungen, der Sohn (2. Kor. 1, 19.20), kann es auch. Er ist der Vater der Äonen, dem eine Fülle von Zeiten zur Verfügung steht.

Was er sich vorgenommen, und was er haben will,
Das muß doch endlich kommen zu seinem Zweck und Ziel.

Und so wartet er einen Zeitlauf nach dem andern, bis auch für diese Verheißung, die nach Hebr. 11, 13 und 39.40 noch nicht erfüllt ist, die Zeit der Erfüllung gekommen ist. Dies geschieht dann, wenn die Körperschaft, durch die er alle Verheißungen zum Lob des Vaters hinausführt, fertig ist, nämlich sein Leib, das Pläroma, die Fülle des Christus, durch die er das All in allem zur Erfüllung bringt (2. Kor. 1, 20) [„durch uns“ und Eph. 1, 22.23). (S. a. 2. Thess. 1, 10). Wenn der Christus durch die Fülle seiner Glieder auf sein Vollmaß gekommen ist, wird er auch die schon dem Abraham, lsaak, Jakob, Mose u.a. gegebenen Verheißungen zur herrlichen Erfüllung bringen (Jes. 26, 19). Dann werden auch die in der Wüste dahingestorbenen Kinder Israel durch den Geist des Lebens wieder aus den Toten erweckt und dürfen in das Land ziehen samt den lebenden Juden, die errettet werden. So wird er das ganze Volk Israel erretten und in das Land einführen und es die vollen Segnungen des Landes genießen lassen unter dem wiederkommenden Sohn Davids im Tausendjährigen Reich (Hes. 37). Dann wird er das Herz der Väter, die so lange schliefen, bekehren zu den Kindern, und das Herz der Kinder, die lebend die Ankunft des Messias erfahren dürfen, zu den Vätern wenden (Mal. 3, 24 [4, 6]). Mit diesem Ausblick schließt der letzte Vers des Alten Testaments. Also wird ganz Israel errettet werden (Röm. 9-11). Was er ihnen verheißen hat, führt er auch aus. Seine Gnadengaben und Berufungen sind unbereubar! (Röm. 11, 29). (S. a. Vers 15.) - Ja, wunderbar groß und herrlich sind die Gerichtswege Gottes! Sie offenbaren die Tiefe des Reichtums seiner Weisheit und Erkenntnis. Ohne Mitberater hat er das Endziel seiner beiden Wege, des Weges der Gnade und des Weges des Gerichts, festgelegt. Niemand vermag ihn darum auch an der endlichen Erreichung des Zieles zu hindern. „Sein Werk kann niemand hindern!“ Darum sei ihm auch die Herrlichkeit durch alle Zeitalter hin! (Röm. 11, 29-36).

Der Mensch darf innerhalb der ihm festgelegten Grenzen seiner Verhältnisse recht haben, aber Gott behält recht. „Die Rechte des Herrn behält den Sieg“ (Ps. 118, 15.16).

Etwas ähnliches sehen wir bei Josef und seinen Brüdern. Sie achten den geoffenbarten Willen Gottes nicht, der will, „daß Brüder einträchtig beieinander wohnen“ (Ps. 133, 1), sondern offenbaren die schlechte Gesinnung ihres fleischlichen Herzens dadurch, daß sie ihren Bruder nach Ägypten verkaufen. Gott läßt auch diesen bösen Anschlag der Brüder gelingen; aber er hat eine geheime Absicht dabei. Indem sie gegen seinen geoffenbarten Willen handeln und hierdurch ihr törichtes Herz kundmachen, erfüllen sie die geheimen Retterabsichten Gottes mit ihnen selbst und mit ihrer Umwelt. Josef beschönigt nicht die böse Absicht der Brüder; aber er nimmt ihnen sogar noch den Ruhm für ihre schlechte Tat, indem er ihnen kundtut, daß nicht sie diejenigen waren, die ihn nach Ägypten gesandt haben, sondern Gott (1. Mose 45, 4.5 und Kapitel 50, 19-21). („Ihr glaubt zu schieben, und ihr seid geschoben.“)

Auch hier wird zuerst der Wille des Geschöpfes erfüllt. Es bekommt Gelegenheit, die fleischliche Gesinnung seines Herzens zu offenbaren. Es darf wollen; aber sein Wille besteht nicht, der Wille Gottes aber bleibt bestehen.

Betrachten wir noch die grausigste Tat der Weltgeschichte, den Gottesmord auf Golgatha, wo das Geschöpf, das aus der Hand seines Schöpfers Leben erhalten hatte, seinen Schöpfer ermordete. „Er kam in das Seinige, aber die Seinigen nahmen ihn nicht auf“ (Joh. 1, 11). Aber indem sie ihren bösen Willen durchsetzten und ihn zum Tode brachten, erfüllten sie die geheime Retterabsicht Gottes mit ihnen selbst und mit der ganzen Welt (Apg. 2, 23 und 4, 25-28). Indem sie tobten und Eitles wider ihn sannen unter Verachtung seines geoffenbarten Willens, erfüllten sie seinen geheimen Liebeswillen, der in seinem Teil himmelhoch über den geoffenbarten Willen hinausgeht und zuletzt auch diesen noch zur Erfüllung bringt.

Gott offenbart zunächst nur Teilziele, indem das Geschöpf sich diesen wiedersetzt, erfüllt es die viel weiter gesteckten Ziele, die noch nicht geoffenbart sind. Damit bringt das Geschöpf durch seine böse Gesinnung eine Verantwortung für sein Handeln auf sich selbst und muß im Gericht für die schlechten Beweggründe büßen. Nachdem es aber die Schuld verbüßt hat, kann Gott es dennoch rechtfertigen, weil es letzten Endes doch mit seinem Tun den geheimen Willen Gottes erfüllte.

So wird bei allem Weltgeschehen beides erfüllt: der Wille Gottes und der Wille des Geschöpfes. Das Geschöpf darf zunächst recht haben; Gott aber behält in jedem Fall recht. Darum steht auch nach jenem viel mißbrauchten Wort: „Ihr habt nicht gewollt“ die Fortsetzung: „... bis daß ihr sprecht: Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn!“ Dieselben Menschen, die nicht „erkannten zu dieser ihrer Zeit, was zu ihrem Frieden diente“, werden noch einmal nach schweren Gerichten aussprechen lernen: „Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn!“ (Matth. 23, 29-39).

Es ist überhaupt falsch, den Willen Gottes und den Willen des Geschöpfes als gleichwertig einander gegenüberzustellen. Sie sind gar nicht neben- oder gegengeordnet, sondern über-, bzw. untergeordnet. Immer ist der Wille des Geschöpfes dem göttlichen Willen untergeordnet. Selbst Satan vermag nichts von sich selbst zu tun (Hiob 1, 6-12 und 2, 1-7). Viel weniger ein anderes Geschöpf. Es geschieht überhaupt nichts im ganzen weiten Weltall ohne den Willen Gottes. Noch nicht einmal ein Haar fällt von unserem Haupt ohne seinen Willen (Amos 3, 6b; Jes. 45, 7; Luk. 21, 18).

Der Wille Gottes und der Wille des Geschöpfes sind in ihrer Qualität himmelweit verschieden. Der Wille Gottes ist in seiner Freiheit absolut, der Wille des Geschöpfes nur relativ. Gott kann sich bei all seinem Handeln selbst Anfang und Ziel, Methode und Ausgang bestimmen. Das Geschöpf kann weder bestimmen, wie es geboren werden will, noch zu welcher Zeit, von welchen Eltern und unser welchen Verhältnissen. Es ist in seinem ganzen Dasein beschränkt durch die Grenzen, die ihm hinsichtlich seiner Fähigkeiten und seiner Verhältnisse gesetzt sind. Wie kann man da bei einem Geschöpf von einem freien Willen reden? - Es hat nur einen bedingt freien (relativen) Willen. Er ist zusammengesetzt aus dem Willen des Fleisches, den es durch die Erbschaft des Blutes von seinen Vorfahren erhält, sodann dem Eigenwillen, der jedem Menschen als besonderes Unterscheidungsmerkmal von anderen Menschen gegeben ist, und drittens dem Willen Satans, dem der Mensch seit dem Sündenfall unterjocht ist. Darum sind wir von Natur aus nicht frei, sondern Sklaven der Sünde und unter die Sünde verkauft. Es ist ein direktes Unding, bei einem Sklaven von einem freien Willen zu reden. Vergleiche Eph. 2, 3; Röm. 8, 7.8; 3, 9-19; Gal. 3, 22; Tit. 3, 3; 1. Petr. 4, 3; Gal. 5, 19-21; 2. Petr. 3, 3; 2. Tim. 2, 26; Röm. 6, 16-22 u.a.

Aus der Sklaverei der Sünde sind wir freigemacht und zu Sklaven Gottes und Christi Jesu geworden, und nun beginnt erst das Hineinwachsen in den Stand der wahren Freiheit. Denn „für die Freiheit hat Christus uns freigemacht“ (Gal. 5, 1). Ehemals aber waren wir Unfreie.

Es ist merkwürdig, wie angesichts solcher klaren Urteile des Herrn, daß wir Sklaven sind, gefangen unter den Willen des Fleisches, den Eigenwillen und den Willen des Satans, gerade die Gläubigen oft mit so viel Energie das falsche Dogma von der Freiheit des menschlichen Willens verteidigen. Es genügt doch allein schon, die Gebundenheiten zu betrachten, die durch die Sünden der Väter sich auf die nächsten Generationen vererben. Heute bestätigt selbst die ungläubige Welt durch die Ergebnisse der Psychoanalyse die Wahrheit der Schriftlehre von der Erbsünde. Es geht aber nicht an, zu gleicher Zeit die Bindung durch die Erbsünde zu lehren und die Freiheit des menschlichen Willens.

Meist liegt hier auch eine Verwechslung vor, indem man eigentlich gar nicht die volle Willensfreiheit lehren will, sondern nur die Tatsache hervorheben, daß diejenigen Menschen, denen Gott eine Erleuchtung durch den Heiligen Geist zuteil werden ließ, Wahlfreiheit haben, weiter als Sklaven Satans und der Sünde in ihrem alten Wesen zu verharren, oder aber die von Gott angebotene Gnade als die einzige Gelegenheit zu benutzen, in der Jetztzeit aus der Sklaverei des Sklavenhalters herauszukommen und frei zu werden für Gott.

Gott hat zwei Methoden zur Rettung des Menschen: Gnade und Gericht. Wer die angebotene Gnade nicht annimmt, kommt ins Gericht. Das ändert aber gar nichts an der Tatsache, daß Gott doch sein Ziel erreicht. So wie er jene Israeliten, die er um ihres Unglaubens willen in der Wüste dahingestreckt hat, doch ins Reich einführt, wenn es einmal aufgerichtet wird, so daß letzten Endes sein Wille sich als der bleibende erweist, so erreicht er sein Ziel auch mit allen anderen Menschen und Wesen, ob sie sich durch Annehmen der Gnade vor den schweren Wegen des Gerichts bewahren lassen, oder ob er durch „Gerichte“ hindurch es „richtig“ mit ihnen macht.

Wenn ich meinen Kindern befehle, die Holzkiste in der Küche zu füllen oder Wasser am Brunnen zu holen, so können sie dies mit williger Unterordnung sofort tun. Dann erhalten sie vielleicht von der Mutter Lob, manchmal auch Lohn in Gestalt von Schokolade oder dergl. Gehen sie aber lieber spielen und verschwinden auf der Straße, anstatt Holz zu holen, so mache ich deshalb doch keinen Bankrott mit meiner erzieherischen Absicht. Ich rufe sie herein, mache nicht viel Worte, verschreibe ihnen ein Rezept gegen Ungehorsam, und - die Holzkiste ist in wenigen Minuten gefüllt. Aber diesmal gibt es kein Lob und keinen Lohn. Das widerspenstige Wesen ist durch Tadel und Strafe gerichtet worden, damit ihnen dies zur Erkenntnis ihres eigenen Herzens und seiner armseligen Beweggründe gereiche. Auf jeden Fall aber wird mein väterlicher Wille zur Ausführung gebracht, einerlei, ob sie sich freiwillig unterordnen oder nicht. Sie können nur durch ihre verschiedene Einstellung zu meinem Vaterwillen die Methode bestimmen, nach der ich sie behandle. Das Ziel meines Willens aber wird erreicht, mögen sie gehorchen wollen oder auch nicht wollen.

Gott handelt ebenso. „Wenn seine Gerichte die Erde treffen, so lernen Gerechtigkeit die Bewohner des Erdkreises“ (Jes. 26, 9). Darum erweist er auch dem Gesetzlosen keine Gnade, damit dieser das Recht lernt (Jes. 26, 9-11). Mögen sie auch nicht wollen, die Gesetzlosen, so werden sie doch seinen Eifer schauen und beschämt werden, wenn das Feuer sie verzehrt und alles vernichtet, worauf sie ihre fleischliche Hoffnung setzten. Das „Menschenherz ist ein trotzig und verzagt Ding“ (Jer. 17, 9). Solange es irgend geht, wehrt es sich, von seinem Eigenwillen abzulassen. Sie tun nicht Buße, selbst im Anfang der Gerichte Gottes noch nicht, bis daß sein Zorn vollendet und sein Grimm völlig über sie ausgegossen ist. Erst wenn jede Hoffnung des Fleisches zerstört ist, gibt es sich geschlagen, und der Trotz schlägt um in Verzagtheit. Dann lernt der Mensch Gerechtigkeit. - Gottes Wille aber bleibt auch in diesem Fall bestehen und wird hinausgeführt.

Welch eine Gnade aber ist es, schon in der Jetztzeit die Aussichtslosigkeit aller Rebellion gegen Gott erkennen zu dürfen und den irrenden Menschenwillen unterzuordnen dem zielstrebigen Gotteswillen, der im Sohn das gesamte All dem Ziel seiner Bestimmung entgegenträgt! -

Wo diese Veränderung in einem Menschenherzen vor sich geht, ist wieder eine Saite richtig eingestimmt auf den Grundton der Harmonie der Sphären, auf die Liebe, die aus Gott ist. Im Anfang der Schöpfung erklang diese in wunderbarer Einheit und Reinheit (Hiob 38, 4-7), bis einer sich selbst überhob und viele Geschöpfe in seinen Sturz verwickelte. Seitdem klingt das Seufzen der gesamten sterbenden Kreatur als furchtbare Dissonanz durch den Weltenraum, bis am Ende aller Wege Gottes er selbst alles in allem sein wird. Dann wird kein Leid mehr sein und kein Geschrei. Alles, was Odem hat, lobt dann den Herrn, und die in Harmonie aufgelösten Disharmonien erklingen dann als eine gewaltige Symphonie durch das All, indem alle Zungen zur Ehre Gottes, des Vaters, bekennen:

„Jesus Christus ist Herr!“

Die Rechtsfrage

Der Sohn der Liebe (Kol. 1, 13), der Erstgeborene aller Schöpfung (Kol. 1, 15), hat nach des Vaters wohlbedachtem Plan und Rat das Weltall erschaffen (Kol. 1, 16; Offb. 4, 11; Jer. 10, 16; Jes. 40, 12-15). Wenn Gott sprach: „Es werde“, so sprach er dies durch den Sohn, der das schöpferische Wort Gottes ist, der Logos. Ohne dieses schöpferische Wort ist auch nicht ein Ding geworden (Joh. 1, 3; 1. Kor. 8, 6; Hebr. 1, 2.10-12). Alle Dinge bestehen zusammen durch ihn, den Christus (Kol. 1, 17), und er trägt sie alle dem Ziele ihrer Bestimmung entgegen (Hebr. 1, 3), bis nach dem Ablauf aller Zeitalter als Ergebnis seiner wunderbaren Ökonomie oder Haushaltung das ganze All wieder unter einem Haupt vereinigt ist, unter ihm selbst, der der Kulminationspunkt aller Pläne Gottes ist (Eph. 1, 9.10.22; 2, 15; 3, 15; Phil. 2, 9.10; Jes. 45, 22-24; 46, 9-11; Eph. 1, 11 u.a.).

In diesem Plan oder Vorsatz der Zeitalter (Eph. 3, 11 mit Anmerkung in der Elbf.) gibt es keine Lücke und kein „wenn“ und „aber“. Niemand ist bei seiner Fassung Gottes Mitberater gewesen. Er hat entworfen, und er führt es auch aus. Jeder Anspruch eines Geschöpfes, diesen Plan irgendwie sabotieren oder gar verhindern zu können, ist Lästerung. „Sein Werk kann niemand hindern.“ Möchten doch die Brüder, die meinen, das Geschöpf könne auf die Dauer und endgültig den Willen Gottes hindern, oder Gott habe um des Trotzes der Geschöpfe willen sich Ein­schränkungen bei der Durchführung seines Willens auferlegen müssen, einsehen, daß sie damit in den Fußstapfen des Lästerers wandeln. Man kann eben nicht im gleichen Atemzug sagen und singen: „Was er sich vorgenommen, und was er haben will, das muß doch endlich kommen zu seinem Zweck und Ziel“, und hinterher: „Ja, - aber, - wenn der Mensch nicht will, kann Gott nicht“. Gott hat geplant, und Gott führt es auch aus (Röm. 11, 33-36; Jes. 46, 9-11; Eph. 1, 11).

Gott hat in seinem wunderbaren Liebesplan jedem Geschöpf soviel Bewegungsfreiheit gelassen, daß es seine Unfähigkeit zur Erreichung des göttlichen Vorsatzes erweisen kann, weiterhin aber auch durch die Offenbarung der Beweggründe des Herzens unter Verantwortung gestellt wird. Die letzte und absolute Verantwortung für alles Weltgeschehen übernimmt Gott selbst (Röm. 11, 32).

Gott kann diese Verantwortung übernehmen, ohne deshalb in seiner erhabenen Gottesruhe irgendwie gestört zu werden. Er hat den Plan der Zeitalter so gefaßt und kennt den Ausgang im voraus so sicher, daß er schon jetzt voll Gottseligkeit daran denken kann, wie alle Geschöpfe ihn einmal loben werden um seines herrlichen Plans willen. Der Ausgang aller Wege Gottes ist so herrlich, daß jeder Mund verstopft wird und kein Geschöpf sich zu beklagen vermag, daß es auch nur in einem Punkt verkürzt worden sei. „Alle seine Wege sind recht" (5. Mose 32, 4). Er wird einmal gerecht fertigt werden von allen seinen Werken, auf daß er gerechtfertigt werde in seinen Worten und rein erfunden, wenn er gerichtet wird (Ps. 51, 6 [4]; Röm. 3, 4).

Während es dem ich-versöhnten Menschen genug ist, die Frage gelöst zu haben: Wie wird der sterbliche Mensch gerecht vor Gott?, ist dem theozentrisch oder christozentrisch eingestellten Menschen diese Teillösung ungenügend. Er kann erst da zur Ruhe kommen, wo Gott selbst zur Ruhe gekommen ist. Und diese Ruhe Gottes besteht zu einem wesentlichen Teil darin, daß er schon heute in seinem Geist gerechtfertigt dasteht, bzw. sich gerechtfertigt dastehen sieht vor allen seinen Geschöpfen. Darum erfüllt Gottseligkeit sein Herz (1. Tim. 3, 16). Er ist der „glückselige Gott“ (1. Tim. 1, 11; 6, 15). Diese Botschaft ist die Frohe Botschaft von der Herrlichkeit des glückseligen Gottes (1. Tim. 1, 11). „Für dieses arbeiten wir auch und werden geschmäht, und dieses gebiete und lehre“ (1. Tim. 4, 10.11).

Dem bei der Ich-Versöhnung stehenbleibenden Menschen genügt es, zu wissen, daß er nicht mehr ins Gericht vor dem großen weißen Thron kommt (Joh. 5, 24; Offb. 20, 11-15), sondern nur mit allen Gläubigen vor dem Preisrichterstuhl des Christus offenbar werden muß, wo der Lohn der Treue ausgeteilt wird (2. Kor. 5, 10; 1. Kor. 3, 11-15).

Es macht einem solchen Gläubigen nicht viel aus, daß unzählige Menschen seiner Umgebung durch ihn Schaden erlitten haben, daß seine Untreue in Familie, Gemeinschaft und Gemeinde, in Amt, Beruf und Staat viele verkürzt hat, und daß seine Verfehlungen durch Zungen- und Tatsünden viele vom Glauben abhielten, wenn nur er selbst die Gewißheit hat, daß er nicht mehr gestraft wird um dieser Dinge willen. Wie es den durch ihn Geschädigten ergeht, macht ihm keine schlaflosen Nächte. „Soll ich meines Bruders Hüter sein?“ (1. Mose 4, 9).

Man verfalle doch nicht auf die faule Ausrede, das sei nicht unsere, sondern Gottes Sache! Gerade darum, weil es Gottes Sache ist, interessiert sie den Gläubigen, für den Gott im Zentrum aller Dinge und alles Weltgeschehens steht. Er hat uns seinen Geist gegeben, der alle Dinge erforscht, auch die Tiefen der Gottheit (1. Kor. 2, 6-13). Und zudem hat Gott ganz deutlich davon geredet, wie er allen Schaden gut machen will.

In Psalm 69, 5 [4] bezeugt er von sich, bzw. dem Sohn seiner Liebe: „Alsdann muß ich wiedererstatten, was ich nicht geraubt habe.“ (Man lese zunächst einmal wenigstens die Verse 22 [21] und 10 [9], um zu sehen, daß dieser Psalm sich auf Christus bezieht.)

Jeder Schaden, den irgendein Wesen im Lauf der Zeitalter einem anderen zugefügt hat, erstattet der wieder, der letzten Endes die Verantwortung dafür übernimmt, daß er diese Wesen ins Dasein gerufen hat.

Und wie erstattet er wieder! Nicht so armselig wie der Mensch, der sich schließlich dazu bequemt, einige Prozent Aufwertung zu bezahlen, damit wenigstens formell die große Schuld gestrichen werden kann, die er bei anderen hat. Gott braucht keine Inflation zu machen, um sich seiner selbst übernommenen Verpflichtungen zu entledigen. Er zahlt nicht nur jedem Geschöpf den vollen Wert des ihm zugefügten Schadens zurück, sondern erstattet nach einem ganz bestimmten Plan und Gesetz alles so hoch über dem normalen Wert wieder, daß der Geschädigte weit über seine Verluste entschädigt ist und nur noch eines vermag: rückhaltlos die völlige Gerechtigkeit dessen anzuerkennen, der so wunderbar an seinen Geschöpfen handelt.

Im Gesetz gebot Gott, daß bei der Schädigung eines Menschen, wenn dieselbe ohne Vorsatz und unwissentlich erfolgte, beim Bekanntwerden derselben der volle Wert des Geraubten zurückerstattet werden mußte, sowie ein Fünftel darüber (4. Mose 5, 5-7; 3. Mose 5, 14-17 u. a.).

Bewußt Geraubtes mußte vierfach wiedererstattet werden, in besonderen Fällen fünffach (2. Mose 22, 1; 2. Sam. 12, 6; Luk. 19, 8).

Von diesen Satzungen sagt der Herr: „Dies sind meine Satzungen und meine Rechte“. Damit wollte er nicht nur ausdrücken, daß er der Geber sei, der von den Empfängern die Erfüllung dieser Vorschriften erwarte, sondern daß er, der sich selbst treu bleibt, wenn auch alle untreu werden, diese Satzungen und Rechte selbst erfüllt, damit nichts unerfüllt bleibt, sondern alles in allem zur Erfüllung kommt (Eph. 1, 23). Er wird einmal das Geraubte wiedererstatten und dabei die Rechte anwenden, von denen er sagt: „Das sind meine Satzungen und meine Rechte.“

Wenn die Anwendung dieser Rechte schon ganz unterschiedslos für alle Menschen gilt, und wenn diese Schatten zukünftiger Güter einmal in Herrlichkeit durch den Christus erfüllt werden in seinem Reich und hernach auf der neuen Erde (Kol. 2, 16.17), so gilt für die Gläubigen, die besonders gerechnet werden, noch ein ganz anderer Aufwertungssatz. Ihnen soll alles hundertfältig ersetzt werden, was sie um seines Namens willen drangeben müssen. Die Verfolgungen der Gläubigen, besonders der Märtyrer, sind ihm ein Anlaß, ihnen einen Ersatz in seinem Reich zu geben, der seiner würdig ist (Matth. 5. 11.12; 19, 27-29). Auf dem Boden der Gemeinde aber will er ganze Zeitalter lang, ja, in allen kommenden Zeitaltern den ganzen Reichtum seiner Gnade in Güte erweisen, und zwar in einem Maße, das über alles weit hinausgeht, was je unter den Gläubigen im Schwange war an kühnstem Glauben und Hoffen. Überschwenglich mehr will er an ihnen tun, als alle erdenkbaren Maßstäbe ihnen möglich erscheinen lasen (2. Kor. 4, 17; Eph. 2, 7; 3, 20).

Wie sich diese Aufwertung oder Wiedererstattung einmal auswirkt, sei an zwei Beispielen kurz erläutert.

Es kommt häufig vor, daß in der Schule, besonders vor den Stunden oder in der Pause, die Knaben miteinander in Streit geraten oft um kleinster Ursachen willen. Nun wird bei einem solchen Streit eine Tafel zerbrochen. Ein kräftiger Schüler hat sie einem schwächeren auf den Kopf geschlagen, sodaß der Schiefer durchbricht. Der Lehrer eilt auf das Geschrei des Kleinen über den Hof und untersucht die Geschichte. Drinnen im Klassenzimmer gibt es dann ein Nachspiel. Der Missetäter empfängt zwei Streiche mit dem Stock und wird in die vorderste Bank gesetzt, damit er nicht mehr direkt neben dem durch ihn Geschädigten sitzt. - Nun kommen dem Lehrer allerhand Bedenken. Der Missetäter hat zwar seine Strafe; aber davon wird die zerbrochene Tafel des kleineren Schülers nicht wieder ganz. Was tun? Der Kleine weint, weil er weiß, daß der Vater ihm keine neue Tafel kaufen kann. Er ist schon so lange arbeitslos. Deshalb befürchtet er Schläge, wenn er nach Hause kommt. Da fragt der Lehrer den Kleinen, was eine neue Tafel kostet. Der Preis wird mit 50 Pf. genannt. Still greift der Lehrer in die Tasche, holt 50 Pf. heraus, drückt sie dem Kleinen in die Hand und sagt: Laufe zum Kaufmann, und hole dir eine neue Tafel. Bald kehrt der Kleine mit der neuen Tafel und mit frohem Gesicht zurück. Er hat ein gutes Geschäft gemacht: eine neue Tafel für die zerbrochene alte. Sein Dank an den Lehrer kommt aus ehrlichem Herzen. - Doch dem Lehrer genügt dieser Schluß der Geschichte noch nicht. Er fragt den Kleinen, ob er nun noch eine Forderung an den Großen habe. Nein, er hat nichts mehr zu fordern. Ja, im Herzen des Kleinen regt sich so ein bißchen Mitleid mit dem Kameraden, der außer der ersten Strafe nun auch noch die zu tragen hat, daß er immer vorn in der ersten Bank allein sitzen muß. Gut, sagt der Lehrer, wenn du nichts mehr von ihm zu fordern hast, ich habe auch nichts mehr zu fordern. Fragen wir ihn, ob er einsieht, daß ihm so geschehen mußte. - Ja, er sieht es ein und bittet unter Tränen, der Lehrer möge ihm doch nur erlauben, wieder an seinen Platz zu gehen. Da keinerlei Forderungen mehr bestehen, kann der Lehrer nun Gnade walten lassen und gestattet ihm die Rückkehr auf seinen Platz. Die ganze Klasse atmet auf. Die schlimme Geschichte ist völlig geregelt. Es schwebt kein Unfriede mehr über dem Klassenzimmer. Die Augen des Lehrers leuchten, weil dem Recht Genüge geschehen ist, weil keinerlei Schuld mehr da ist, weil ferner der Geschädigte vollen Ersatz erhielt, und dem Missetäter nach dem Gericht dennoch Gnade erwiesen werden konnte, und weil endlich kein Leid und kein Geschrei mehr da ist, sondern Freude bei allen Schülern, daß wieder Harmonie in der Klasse herrscht und alles herrlich hinausgeführt ist.

Das zweite Beispiel:

Vor einigen Jahren ermordete ein junger Bauernknecht einen Briefträger, der Geld über Land brachte und dabei durch einen Wald mußte. Er fand nur sechs Mark bei dem Ermordeten. - Nach etlichen Tagen war die Tat aufgeklärt und der Mörder verhaftet. Er wurde zum Tode verurteilt und nach einiger Zeit hingerichtet. - In der Zeit zwischen seiner Verhaftung und seiner Hinrichtung wurde er häufig von Gläubigen der dortigen Gegend besucht. Unter dem Druck der Schuld, die er auf sich geladen, sowie unter der Hoffnungslosigkeit seines nur noch kurzen Erdendaseins, brach er innerlich zusammen und nahm begierig die Botschaft von dem Einen auf, der blutrote Sünden schneeweiß wie Wolle machen kann. Als einer, dem die Schuld vergeben ist, ging er auf das Schafott und gab willig sein Leben hin. - Die Gläubigen aber, die ihm die Frohe Botschaft verkündigen durften, gaben eine Beschreibung von der inneren Umwandlung dieses Mannes heraus, in der die Gnade verherrlicht wird, die Gott für arme Sünder bereit hält. - Das ist gewiß ein großes Wunder, das Gott an einem sonst hoffnungslos verlorenen Menschenleben vollbracht hat. Größer aber ist das Wunder, daß er dies tun kann, ohne seiner eigenen Gerechtigkeit Abbruch zu tun. - Ehe wir näher darauf eingehen, warum er dem Schuldigen vergeben kann, ohne daß seine Gerechtigkeit dem Geschädigten gegenüber in Zweifel gezogen werden kann, wollen wir zunächst die Lage derer betrachten, die durch die unselige Tat ins Unglück gebracht wurden. Dem Briefträger wurden vielleicht viele Jahre seines Lebens genommen. Er war bei seiner Ermordung erst 27 Jahre alt. Seine junge Frau verlor den Mann, seine beiden kleinen Kinder den Vater. Dazu riß sein Tod eine tiefe Lücke in den Kreis seiner Eltern und Geschwister. - Man reiche nur einmal einem von diesen Hinterbliebenen das Heft, in dem der Mörder als ein begnadigtes Gotteskind geschildert wird, während ihnen für den Ermordeten nur die hoffnungslose Aussicht auf die Hölle bleibt, weil er unbekehrt von hinnen schied; ganz zu schweigen von dem Schaden, der ihnen zugefügt ward, um dessen Begleichung sich niemand kümmert.

Es ist etwas Schauerliches um den Leichtsinn so vieler Gläubiger, denen es genügt, daß Gott ihnen die Schuld vergeben hat, weil sie aus Angst vor der Höllenpein sich bekehrten, denen aber die Frage nach der Wiedergutmachung der durch sie entstandenen Schäden keine Sorge macht. Da ist die Gnade in den Augen der Welt gelästert, weil sie nicht mehr sittlich rein dasteht. Gewiß ist Gott dem Geschöpf keine Rechenschaft schul­dig über sein Tun. Er tut es aber trotzdem, weil er niemand vergewaltigen will, sondern gerechtfertigt dastehen will in allem und rein erfunden, wenn er beurteilt wird (Röm. 3, 4). Und von uns fordert er, daß wir „jederzeit bereit sind zur Verantwortung gegen jedermann über den Grund der Hoffnung, die in uns ist“ (1. Petr. 3, 15). - Wie aber wollen solche Gläubigen begründen, daß Gott gerade sie begnadigt hat? - Sie können nur sagen: Ja, ich habe mich auch bekehrt. Auf die Frage nach der Entschädigung der durch sie Geschädigten haben sie nur ein Achselzucken oder die üble Ausrede: Das geht uns nichts an.

Gott aber, der Erhabene und Reine, der einmal gerechtfertigt wird von allen seinen Werken, begnadigt nicht deshalb, weil er das Jammern eines ängstlichen Menschenherzens nicht anhören kann, sondern deshalb, weil er vor Grundlegung der Welt in dem Sohn der Liebe einen Bürgen bereitgestellt hat, der für alles bürgt bis ans Ende. Er macht allen Schaden gut und ersetzt alles wieder, und zwar über jeden Anspruch hinaus. Bei aller Strafe, die er einem Wesen zuteilen muß um der bösen Beweggründe willen, aus denen die Handlungen des Betreffenden entsprangen, vergißt er es nicht, auch diesem Wesen den Schaden wiederzuerstatten, der ihm durch andere Geschöpfe während seiner Lebenszeit zugefügt wurde. So bleibt einmal nichts an Forderungen übrig, die ein Geschöpf noch gegen das andere hätte. Und dann werden sich ihm alle Knie beugen, weil sie von seiner unwandelbaren Gerechtigkeit und Liebe überführt sind, und alle Zungen werden bekennen und sagen: „Im Herrn habe ich Gerechtigkeit und Stärke.“ Dann werden zu ihm umkehren alle, die wider ihn empört waren (Jes. 45, 22-24). Und gerade zu diesem Zweck hat Gott die Gaben für den Christus bereitgestellt, daß er, Gott, auch unter Widerspenstigen wohne (siehe die Anmerkung zu Psalm 68, 18 in der unrev. Elbf.: „im Menschen, damit Jah, Gott, selbst unter Widerspenstigen wohne“), oder, wie de Wette übersetzt: „Die Empörer sollen auch wohnen bei Gott.“

Darf ich so zwischenhinein einmal fragen, lieber Leser, wieviele Bibelstunden oder Predigten du über das Thema gehört hast: Die Empörer sollen auch wohnen bei Gott? Der Apostel Paulus bezeichnet aber gerade die Hoffnung auf die Errettung aller Menschen als die Tatsache, um deretwillen er und seine Mitarbeiter sich schmähen lassen (1. Tim. 4, 10.11).

Gott kann in Gnaden handeln, weil hierdurch die anderen nicht verkürzt werden. „Gerechtigkeit und Gericht sind seines Thrones Grundlage“ (Ps. 89, 15 [14]; Ps. 97, 2; 145, 17; 5. Mose 32, 4; Offb. 15, 3 u. a.). Darum ist auch jeder Gnadenerweis Gottes ein sittlich vollkommenes Handeln, weil zuvor jeder Rechtsanspruch über Gebühr befriedigt, bzw. die Befriedigung garantiert und sichergestellt ist in Christo. Wenn Gott Gnade erweist, so braucht er keine Günstlingswirtschaft zu treiben, sondern kann auf der Grundlage vollkommener Gerechtigkeit und Heiligkeit über alle Maßstäbe hinaus auch noch Gunst erzeigen. Und auf dieser Grundlage hat dann niemand mehr einen Anspruch oder etwas zu fordern.

Der Psalmist aber hat es schon im Alten Bund begriffen, daß er den Herrn erst in Aufrichtigkeit preisen kann, wenn er die Rechte von Gottes Gerechtigkeit gelernt haben wird (Ps. 119, 7.62.164).

Wenn wir am Ende eines Jahres zurückschauen auf die 365 Tage, so müssen wir doch alle bekennen, daß die 365 Seiten unseres Lebenstagebuches, auf denen das verzeichnet steht, was wir tatsächlich getan haben, alle ein großes Defizit aufweisen gegenüber den 365 Seiten, auf denen steht, was wir hätten tun sollen. Wenn wir einmal entlohnt würden nach diesem „Soll und Haben“, so erginge es uns schlecht, und wir täten besser, den Herrn gleich an dem Tage, an dem wir gläubig werden, zu bitten, er möge uns hinwegnehmen, weil jeder neue Tag nur das Defizit vermehrt. Wir wissen aber, daß er schon vor Grundlegung der Welt das Vielfache von allem entstandenen Schaden bereitgestellt hat, um ihn wieder gut zu machen. So können wir schon im Anfang eines Tages oder Jahres den wunderbaren Rettergott preisen, daß die Ausgleichssumme vorhanden ist, die das Defizit abdeckt, sodaß wir ohne Schulden aus einem Tag in den andern gehen können und aus einem Jahr ins andere.

Man könnte hier einwerfen, dieses Wissen um die überschwengliche Gnade und Gerechtigkeit Gottes verführe zum Leichtsinn. Nun, man hat auch dem Apostel Paulus diesen Vorwurf gemacht, er würde lehren, „lasset uns das Böse tun, damit das Gute hervorkomme“. Aber solche Lästerer beweisen nur, daß in ihnen nicht die Liebe Gottes wohnt. Über sie wird ein gerechtes Gericht ergehen (Röm. 3. 5-8).

Dem gläubigen Herzen aber ist es ein köstliches Wissen, daß nie in allen Zeitaltern ein Geschöpf durch unsere Schuld geschädigt bleibt. Wir sehnen uns nach den Zeiten, in denen der Christus alles wiederbringt und alles wiederherstellt (Apg. 3, 21).

Dann wird er „das All in allem zur Fülle bringen“ (Eph. 1, 23). Kein Gottesgedanke wird unvollendet bleiben. Mag auch das Geschöpf gar oft eine Linie unterbrochen haben, - dort wird sie zu Ende geführt. Wieviele Verbrechen gegen das keimende Leben werden heute begangen! Dort, wo alles in allem erfüllt wird, werden auch diese an der Erfüllung ihres Weges Gehinderten zur vollen Entfaltung und Erfüllung des ihrem Dasein zugrunde gelegten Gottesgedankens kommen. Und in wunderbarer Weise werden dort alle geistlich entschädigt werden, denen hier unten durch irgendwelche Umstände Gesundheit, Eheglück, Kindersegen oder sonst ein Platz an der Sonne verwehrt blieb. „Das Ersehnte aller Heiden wird kommen“ (Haggai 2, 7). Nichts Unvollendetes wird bleiben. Alles muß eine Erfüllung haben. Und diese Erfüllung wird weit hinausgehen über all das, was Menschenhirne ersinnen, oder was in eines Menschen Herz gekommen ist. Überaus köstlich aber ist es, bekennen zu dürfen: „Uns aber hat es Gott geoffenbart durch seinen Geist; denn der Geist erforscht alles, auch die Tiefen der Gottheit“ (1. Kor. 2, 6-13). Und ebenso herrlich ist das Wissen: Kein Geschöpf wird einmal am Ende der Zeiten noch etwas von mir zu fordern haben. Da jauchzt der Glaube: „Wer wird wider Gottes Auserwählte Anklage erheben? Gott ist es, welcher rechtfertigt!“ (Röm. 8, 31-39).

Wo er rechtfertigt, ist das Recht auf allen Seiten fertig. Alle sind befriedigt von dem Ausgang: Schuldner, Gläubiger und Richter.

Erst auf dieser Grundlage wird unser Friede voll. Man kann es wirklich gut begreifen, daß so viele Gläubige nie zu einem vollen Frieden kommen, weil sie nur eine Ich-Versöhnung kennen. Die ungelösten Fragen nach dem Sinn alles Weltgeschehens lassen nie eine völlige Freude in ihrem Herzen erstehen. Soviel Gerechtigkeits- und Liebesgefühl hat aber oft auch der Ungläubige, daß er einsieht Gott hätte sicher kein Geschöpf ins Dasein gerufen, von dem er im voraus weiß, daß er nie mit ihm zurechtkäme. Weil Gott in sich die Fähigkeit fühlt, auf dem Wege seiner wunderbaren Weisheit alle Rebellen von ihrem gottlosen Tun zu überführen, weil ihm ferner im Gericht ein Mittel zur Verfügung steht, sie zu strafen für ihre Bosheit, weil auch seine Barmherzigkeit noch nach dem Gericht (oder über das Gericht) triumphieren kann, und seine Macht groß genug ist, sie wiederherzustellen, um auch unter den Empörern eine Wohnung zu haben, deshalb konnte er das All ins Dasein rufen, ohne fürchten zu müssen, daß seine Gerechtigkeit mit seinem Liebeswillen in Widerspruch käme, sodaß er sich Einschränkungen auferlegen müsse in seinem Tun.

Denken wir von dieser Stelle aus noch einmal zurück an das Beispiel des in seiner Zelle gläubig gewordenen Raubmörders. Wenn Gott solche Aufwertung gibt, daß auch der getötete Briefträger und seine verwaisten Kinder, seine Witwe und die geschädigten Angehörigen nichts mehr zum Anklagen gegen den Mörder finden, sondern die Weisheit und Gerechtigkeit, die Gnadenmacht und Liebesmacht Gottes preisen, der ihnen vielfach ersetzte, was ihnen geraubt wurde, sodaß ihnen aus ihrem Schaden vielfacher Gewinn wurde, dann braucht der Mörder wirklich kein Gericht mehr zu fürchten. Gott ist da, der ihn rechtfertigt. „Gerechtigkeit und Gericht sind seines Thrones Grundfeste.“ Dieser Thron wird nicht wanken.

Rechtfertigung ist etwas ganz anderes als Vergebung, wird aber meist nur in diesem Sinne gebraucht. Die Vergebung ist nur ein Teil, die Rechtfertigung ist das Ganze. „Alle Wege Gottes sind recht.“ Deshalb kann er z.B. die Brüder Josefs strafen lassen um ihrer Herzenshärtigkeit willen und kann doch feststellen lassen, daß er selbst Josef vor ihnen hergesandt habe zu ihrer eigenen Errettung. Ebenso wird Israel gestraft um seiner Blutschuld willen, die es durch die Ermordung des Sohnes Gottes auf sich geladen hat. Dennoch aber bleibt bestehen, daß Israel nur der Vollstrecker göttlicher Pläne war, freilich, ohne es zu wissen. Dadurch wird aber die Zweckmäßigkeit dieser Handlungen nicht im geringsten angetastet. Sie lagen im Plane Gottes und sind deshalb recht, so wie alle seine Gedanken Wahrheit sind und alle seine Wege Recht. Darum kann Gott auch, nachdem die Strafe an Israel vollzogen ist, die es verdient hat um seiner schlechten Beweggründe willen, Israel rechtfertigen und die Tat als richtig anerkennen. Nachdem er die frevelhafte Bitte Israels erhört hat. „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder“ (Matth. 27, 25), kann er auch die Bitte des Sohnes der Liebe erfüllen: „Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun!“ (Luk. 23, 34). Und von den Bitten des Sohnes steht geschrieben: „Vater, ich danke dir, daß du mich allezeit erhörst“ (Joh. 11, 41.42).

Die Machtfrage

Als Gott vor Grundlegung der Welt mit sich selbst zu Rat ging und den Plan der Zeitalter festlegte, fand der Gipfelpunkt seines geheimen Willens sein besonderes Wohlgefallen. Es gefiel ihm wohl, die Ökonomie (oder Haushaltung) der Zeiten so einzurichten, daß alles ihm dienen muß zu dem einen Endzweck, das gesamte All unter ein Haupt zusammenzubringen (Eph. 1, 9.10.22).

In diesem Plan gibt es keine Unzweckmäßigkeiten und keinen Leerlauf. Wie schon denen, „die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen“ (Röm. 8, 28), so ihm, der die Liebe selbst ist, alle seine Werke, um seinen heiligen Liebeswillen dem Ziele seiner Vollendung entgegenzuführen.

Der Wille Gottes ist gut, und alle seine Wege zur Ausführung dieses Willens sind recht. So bestehen hinsichtlich des Zieles, sowie der Mittel zu dessen Erreichung, keinerlei Bedenken für den Glaubenden, und es bliebe nur noch die Frage zu beantworten, ob Gott auch die Macht hat, das vorgesetzte Ziel voll zu erreichen und alle seine Pläne ohne Abstrich zur Ausführung zu bringen.

In Lukas 14, 28-30 gibt der Herr Jesus jedermann den Rat, vor der Erbauung eines Turmes die Kosten zu überschlagen und zu berechnen, ob er auch das Nötige zur Ausführung habe. Diese Weisheit kann er ihnen empfehlen, weil auch der Vater so handelt. Denn der Sohn redet nicht aus seinem Eigenen, sondern redet die Worte dessen, der ihn gesandt hat (Joh. 3, 34; 7, 17; 8, 26.28; 12, 49.50 u. a.). Noch viel mehr: er bezeugt es, daß er so redet, wie er den Vater hat handeln sehen (Joh. 8, 38). Darum sind auch alle seine Worte ein heller Lichtglanz aus dem geistlichen Leben seines Vaters, und darum sind sie auch Geist und Leben (Joh. 6, 63).

So, wie der Mensch nur sehen kann, weil Gott sieht, nach dessen Bild er gemacht ist, und hören kann, weil Gott hört, so kann er auch nur weise handeln, weil Gottes Weisheit in allem Weltgeschehen dem Menschen Vorbild und Anreiz ist, auch so zu handeln.

Aus vielen Zeugnissen der Heiligen Schrift dürfen wir sehen, daß Gott ein weiser Baumeister ist, der bei der Aufstellung seines Weltenplanes alles zuvorbedacht, ehe er auch nur den kleinsten Teil anfing zu gestalten. Alles wurde mit einkalkuliert: das Licht und die Finsternis, das Gute und das Böse, die Sünde und der Tod, die Auferstehung und das Leben, Hohes und Tiefes, der Fall und die Wiederherstellung, die Macht Satans und die Vollmacht des Sohnes der Liebe.

„Gott hat alles wohlbedacht
Und alles, alles recht gemacht!
Gebt unserm Gott die Ehre!“

Es ist typisch armselig menschlich, wenn wir die Gedanken Gottes erst da beginnen lassen wollen, wo der Mensch anfängt zu denken. Da fängt das fromme Fleisch an zu bejammern, daß wir nicht mehr im Paradies sein können, weil Adam nicht achtgab auf das Tun der Schlange. Nun aber ist nach solcher Meinung das Unglück geschehen, und Gott kann trotz seiner vielen Liebe die Sache nicht mehr in Ordnung bringen. Zwar kommt er zurecht mit denen, die sich selbst bekehrten; die große Masse der Menschen und Myriaden von Engeln aber gehen endlos verloren. Mit den wenigen Geretteten lebt Gott in Harmonie; die vielen Verlorenen aber beharren endlos auf ihrem Widerstand und bringen für alle Zeiten eine nie aufzulösende Disharmonie in das Weltall.

Schämt man sich nicht über die Kläglichkeit solcher Gedanken, die den Weltenbaumeister beschuldigen, er habe bei seinem Bau-Unternehmen nicht alles so zuvorbedacht, daß er die Schwächen seines Materials nicht beheben könne, sodaß nie wieder gutzumachender Schaden bleibe auch nach dem Ablauf der Äonen?

Doch ehe der Fall und Tod kamen, stand schon in der Person des geliebten Sohnes die Auferstehung und das Leben bereit, und „wie durch den Fall des Einen die Verdammnis über alle kam, so genügt die Gerechtigkeit des Einen, das Leben aller Menschen zu rechtfertigen“ (Röm. 5, 18). Ehe die Krankheit kam, war die Arznei vorhanden; ehe die Lüge kam, stand die Wahrheit bereit, sich offenbaren zu lassen; ehe die Macht der Sünde ihren schaurigen Verderbensweg begann, stand schon die Allmacht der Liebe bereit, sich zu opfern für die Abschaffung der Sünde samt allen ihren Folgen (Hebr. 9, 26).

Weil Gott im voraus alles bedacht hat, kann er auch schon im Anfang das Ende verkündigen. In seiner Kostenberechnung ist kein Fehler. Alles, was sein Wohlgefallen erregte, als er mit sich selbst zu Rat ging, führt er auch aus. „Er wirkt alles nach dem Rat seines Willens“ (Eph. 1, 9-11). Was er entworfen hat, führt er auch aus (Jes. 46, 9-11). Er hat geschworen, daß einmal alle Zungen bekennen und sagen: „Im Herrn habe ich Gerechtigkeit und Stärke", und von diesem Schwur wird kein Wort zurückgenommen (Jes. 45, 22-24; Phil. 2, 9-11; Offb. 5, 13; 4. Mose 23, 19; Hiob 23, 13. 14; Apg. 2, 23; 4, 28; Eph. 3, 11; Hebr. 6, 17; Jes. 28, 29; 40, 13.14; 14, 24).

Gottes Eide werden nicht gebrochen! Von seinem Schwur wird kein Wort zurückgenommen.

Wer bist du, o Mensch, der du wagst, zu sagen, er habe wohl allen helfen wollen, aber er könne nicht, weil er durch den Trotz der Geschöpfe gezwungen sei, seinen heiligen Liebeswillen einzuschränken? Als ob dieser Liebeswille nicht stark genug sei, auch den widersprechendsten Lästerer zu überführen und den trotzigsten Rebellen zur Beschämung zu bringen!

Bei Gott ist kein Unterschied zwischen Wollen und Vollbringen. Ihm steht alles fertig da. Er kann im voraus sagen: „All mein Wohlgefallen werde ich tun“, oder, wie die Übersetzung von Buber-Rosenzweig so schön sagt: „All meinen Willen mache zur Tat ich". Psalm 115, 3 bezeugt: „Alles, was ihm wohlgefällt, tut er.“ Ebenso bezeugt Psalm 135, 6: „Alles, was dem Herrn wohlgefällt, tut er in den Himmeln und auf der Erde, in den Meeren und in allen Tiefen.“

Und was gefällt ihm wohl? Es ist das Wohlgefallen dessen, der alles wirkt nach dem Rat seines Willens, das All unter ein Haupt zu bringen, und es ist ihm angenehm, daß für alle Menschen Flehen, Gebete, Fürbitten und Danksagungen getan werden, weil er will, daß alle Menschen errettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.

Die restlose Übereinstimmung zwischen dem Willensvorsatz Gottes und dem zur Tat gewordenen Gotteswillen ist so völlig, daß Gott nicht nötig hat, diesen Willen verborgen zu halten. Seit der Sohn der Liebe als Haupt einer neuen Schöpfung zur Rechten des Vaters sitzt, hat der Vater alle Pläne und Karten aufgedeckt, damit auch seine grimmigsten Feinde hineinsehen können. So sicher ist der Allmächtige über die Allmacht seiner Liebe, daß er nicht befürchten muß, ein Geschöpf könne ihm irgendwie dazwischenkommen. Ja, er gibt dem Diabolos, dem großen Dazwischenwerfer, volle Gelegenheit, alle Möglichkeiten zu versuchen, den großen Weltenplan Gottes zum Scheitern zu bringen. Dadurch wird die völlige Ohnmacht seiner Feinde erwiesen, sodaß er heute schon sagen kann, wenn es auch töricht sei, im voraus die Karten aufzudecken, so sei die göttliche Torheit doch weiser als die Weisheit der Welt. Ja, er geht in seiner Erhabenheit so weit, daß er dem Satan, dem Starken, heute schon sagen kann, daß er ihn einmal zunichte machen läßt durch das, was nichts ist. Die „Weisen dieser Welt werden zunichte gemacht durch das Törichte, das Gott auserwählt hat“ (1. Kor. 1, 27). Er läßt seine Ehre keinem anderen und macht alle Ansprüche der Geschöpfe auf eigene Ehre zunichte. Nichts ist gut, als das, was aus ihm hervorkommt. Darum läßt er alles andere zunichte werden, damit nichts Ungutes bleibt. Mit der Bekanntgabe seiner großen Gottespläne aber reizt er die Rebellen, nichts unversucht zu lassen. Nachdem sie alles versucht haben, stehen sie um so entblößter in ihrer gänzlichen Erfolglosigkeit da.

Zu dem Zweck ihrer Selbstoffenbarung hat Gott den Geschöpfen eine gewisse Zeit zur Verfügung gestellt. Je näher es dem Ende zu geht, um so kürzer wird die Spanne, die sie noch vor sich haben. Darum drückt der Satan auch immer mehr aufs Tempo, „weil er weiß, daß er wenig Zeit mehr hat“ (Offb. 12, 12).

Kein Heerführer auf Erden würde dem Feind die Kampfpläne und Karten zur Einsicht übersenden, damit er alle Möglichkeiten zur Widerstandsleistung herausfinden könne, um, wenn irgend es anginge, die Pläne zu durchkreuzen. Gott aber kann das. Seine Erhabenheit ist so groß über alle Macht der Feinde, daß er noch nicht einmal sich damit beschäftigen muß, wie er sie überlisten könne. Er läßt sie einfach laufen, bis sie am Ende ihrer Wege sich gefangen haben in ihrer eigenen List. „Der die Weisen erhascht in ihrer List“ (Hiob 5, 13). Sie graben eine Grube und fallen selbst hinein: sie legen Schlingen für andere und fangen sich selbst darin. „Der im Himmel sitzt, lacht ihrer, der Herr spottet ihrer“ (Ps. 2, 4).

Hoch über alle Mächte Himmels und der Erde hinaus ist er, der Allmächtige, und er hat seinem Sohn Vollmacht gegeben über alles. Und diese Vollmacht benutzt der Sohn, um alle Verheißungen Gottes, so viele es ihrer irgend gibt, hinauszuführen zum Lob (oder zur Herrlichkeit) Gottes durch die Gemeinde, durch uns. Da gibt es kein „wenn“ und „aber“, da wird das Wort der Verheißung nicht teilweise erfüllt, sodaß es zum Teil „ja“, zum Teil „nein“ wäre. In Christo ist die Erfüllung aller Verheißungen garantiert und sichergestellt. In ihm ist das Ja und das Amen auf alle. Amen aber bedeutet: So war es - so ist es - so wird es sein. Darum ist der große Amen auch der, der da war, der da ist, und der da kommt (Offb. 1, 8; 4, 9; 2. Kor. 1, 18-20).

Das öffnet dem gottbegnadeten Dichter die Lippen zu dem Lobpreis

Amen, Amen, lauter Amen
Hat des treuen Gottes Mund;
Ewig führet er den Namen,
Daß in ihm der Wahrheit Grund.
Was er sagt, trifft alles ein,
Es muß Ja und Amen sein.

Die Verheißung kann verziehen;
Kommt nicht bald, was er verspricht,
Muß man doch den Zweifel fliehen,
Weil sein Wort er niemals bricht.
Ist die rechte Zeit nur da,
So wird alles lauter Ja.

Hat er es doch so gehalten
Von dem Anbeginn der Welt.
Seine Wahrheit wird auch walten,
Bis die Welt in Asche fällt,
Weil er, wie er nie getan,
Sich nicht selbst verleugnen kann.

Wohl, mein Herz, du kannst ihm trauen!
Was er dir verheißen hat,
Wirst du auch erfüllet schauen.
Kommt es auch nicht gleich zur Tat,
Spart er's auch oft weit hinaus,
Es wird doch ein Amen draus. 

Amen, Herr, du wirst erfüllen,
Was dein treuer Mund verspricht;
Das erwart' ich nun im Stillen,
Bis es in der Tat geschicht,
Daß du die Erfüllung gebst,
Amen! Ja, so wahr du lebst.

Die Harmonie im Wesen Gottes

Gott ist Geist, und sein Wesen ist Liebe (Joh. 4, 24; 1. Joh. 4, 8). Alles andere, was die Schrift von ihm berichtet, daß er heilig, gerecht, gnädig, barmherzig, mächtig (allmächtig) und weise sei, sind nur Teileigenschaften, die zusammengehalten sind durch das Band der Vollkommenheit, die Liebe. Niemals bezeugt die Schrift, Gott sei „lieb“. Es ist deshalb unehrerbietig, vom „lieben“ Gott zu reden. Jeder anständige Mensch bemüht sich, gegen andere „lieb“ zu sein. Deshalb braucht noch lange nicht die Liebe Gottes in einem solchen Menschen zu wohnen. Es ist ein großer Unterschied, nur „lieb“ zu sein, oder als Mensch die Liebe Gottes zu haben, oder gar wie Gott die Liebe selbst in Person zu sein.

Liebe ist ein Gesamtwesen. Darum können auch alle anderen Teile, die in dieses Gesamtwesen eingeschlossen sind, diesem nicht widersprechen. Seine Heiligkeit und Gerechtigkeit, seine Barmherzigkeit und Gnade, seine Allmacht und Weisheit entspringen alle dem Urgrund seines Wesens, der Liebe, und alle wirken dahin zusammen, das Ziel zu erreichen, das er in seinem Liebesplan sich vorgesetzt hat.

Es ist deshalb Torheit und Lästerung, von Gott zu sagen, er habe sich wohl in seinem Liebeswillen das Ziel gesetzt, alles Verlorene wiederzubringen, das Zerstörte wiederherzustellen und das gesamte All unter ein Haupt zusammenzufassen in dem Christus; aber um seiner Heiligkeit und Gerechtigkeit willen könne er das nicht. Darum habe er sich freiwillig eingeschränkt und führe seinen Willen nur an den Geschöpfen aus, die dies wollten. Alle anderen lasse er ihres Nichtwollens wegen für immer in dem Feuersee, ohne daß dann für ihn noch eine Möglichkeit bestünde, mit ihnen zurecht zu kommen.

Zum „Beweis“ führt man Stellen an, die sich auf Zeitalter beziehen, die vor den Zeiten der Wiederherstellung aller Dinge liegen, oder man führt Stellen nur unvollständig an. So sagt der Herr zu den Pharisäern und Schriftgelehrten, zu den Heuchlern, die im Begriff standen, als Söhne der Prophetenmörder das Maß ihrer Väter dadurch vollzumachen, daß sie ihn, den Sohn Gottes, ermorden wollten: „... und ihr habt nicht gewollt!“ - Wie oft wird diese Stelle nur so weit angeführt. Man vergißt aber, daß der Herr weiterfährt: „Siehe euer Haus wird euch öde gelassen; denn ich sage euch: Ihr werdet mich von jetzt an nicht mehr sehen, bis ihr sprecht: Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn!“ (Matth. 23, 37-39). Oder man setzt die Zeit, da alle Nationen nach Jerusalem ziehen und die Kinder Israel auf Rossen, Wagen, Sänften, Maultieren und Dromedaren für den Herrn als Opfergabe darbringen, an das Ende der Zeitalter, obwohl dies zu einer Zeit geschieht, da es noch Tag und Nacht gibt, noch Sabbate und Neumonde (Jes. 66, 23.24). Zu jener Zeit werden jeden Morgen alle Gottlosen aus Jerusalem vertilgt und ihre Leichname draußen vor der Stadt in das Tal Hinnom geworfen, in dem ein immerwährendes Feuer brennt, so daß „ihr Wurm nicht stirbt und ihr Feuer nicht erlischt, sodaß sie ein Abscheu sind allem Fleische“. Dies ist ein vorlaufendes Gericht an Menschen, das nichts zu tun hat mit dem Gericht vor dem großen weißen Thron. Die in diesem großen Endgericht Verurteilten werden in den Feuersee geworfen, in dem sich nicht nur Menschen, sondern auch Satan, der falsche Prophet, das Tier, der Tod, der Hades usw. befinden. Und dieses Gericht vor dem großen weißen Thron findet erst statt, wenn Jerusalem nicht mehr existiert, weil die Erde und der Himmel bereits entflohen sind (Offb. 20, 11).

Der Diabolos, der große Dazwischenwerfer, bringt es immer wieder fertig, die einzelnen Zeitalter mit den sie abschließenden Teilzielen den Gläubigen in anderer Reihenfolge darzustellen, sodaß sie sich das Ziel verrücken lassen und häufig ein Teilziel für das Endziel halten. Hierdurch wurde auch Johannes der Täufer an dem Herrn irre, und Petrus und die übrigen Jünger gerieten in Verwirrung.

Es ist darum auch eine Torheit, Stellen, die für ein früheres Zeitalter geschrieben sind, gegen ein späteres als Zeugen anzuführen. Man beachte doch, wie Gott selbst die Zeitalter so scharf gegeneinander abgrenzt. Allein die Speise, die er dem Menschen in den verschiedenen Zeiten erlaubt, könnte uns ein Fingerzeig sein, daß nicht in jeder Zeit dieselbe Erziehung zu dem gleichen Endzweck besteht. So gibt Gott dem ungefallenen Menschen im Paradies die Frucht der Bäume zur Speise. Dem gefallenen Menschen außerhalb des Paradieses wird das Kraut des Feldes, der Ertrag des verfluchten Ackers zur Speise gegeben. Der Menschheit nach der Flut wird alles Fleisch zur Speise gegeben, wie das grüne Kraut des Feldes (1. Mose 9, 1-3. Vergl. auch 2, 15-17 und 3, 17-19). Israel erhält nur die reinen Tiere zur Speise, während der Gemeinde alles freigegeben ist, was auf dem Fleischmarkt feil ist. (Doch ist es dem Schwachen erlaubt, nur Gemüse zu essen [Röm. 14, 1.2; 1. Tim. 4, 4.5]). So verkehrt es gewesen wäre, im Zeitalter des Paradieses Fleischnahrung zu genießen, so verkehrt wäre es, heute die Fleischnahrung verbieten zu wollen. Es steht heute jedem Schwachen das Recht zu, aus gesundheitlichen oder anderen Gründen, die Fleischnahrung zu lassen; aber es steht ihm keinesfalls das Recht zu, dies als allgemeingültige Forderung für alle hinzustellen. Und ebenso unrecht, wie es für einen Israeliten gewesen wäre, entgegen dem Gesetz sich von unreinen Tieren zu ernähren, genauso unrecht wäre es, nach der Belehrung von Apg. 10, 9-16 oder 1. Kor. 10, 25.26 und Gal. 2, 11-16 heute irgendwelche Speisegebote aufzurichten, weil dies nach 1. Tim. 4, 1-5 ein Zeichen von Dämonenlehre ist (Kol. 2, 16).

Diese Dämonenlehren stützen sich natürlich auch auf die Schrift, genauso, wie Satan bei der Versuchung des Herrn auch Schriftstellen anführte. Die Unterschiede sind oft so fein, daß „durch die Gewohnheit geübte Sinne“ dazu gehören, zur „Unterscheidung des Guten sowohl auch des Bösen“ (Hebr. 5, 14). So wird man zur Begründung der Ehelosigkeit der Priester stets hingewiesen auf das Pauluswort: „Wer heiratet tut wohl, und wer nicht heiratet tut besser“ (1. Kor. 7, 38). Man geht einfach darüber hinweg, daß dieser Weg nur offen sein soll für die, denen die Gnadengabe geschenkt ist, keine Brunst leiden zu müssen und Macht zu haben über ihren eigenen Willen, d.h. ihres Leibes mächtig zu sein (1. Kor. 9, 5; 7, 7.37). Daß der Apostel auf seinen vielen Reisen nicht gut eine Familie mit sich umherführen konnte, ist gut zu verstehen. Für ihn war das Nichtheiraten besser. Wenn er aber von dem ortsansässigen Bischof (Aufseher) und den Diakonen redet, so soll nur einer der Gemeinde Gottes vorstehen, der in seinem eigenen Haushalt den Beweis erbracht hat, daß er wohl vorzustehen vermag. Man vergleiche hierzu 1. Tim. 3, 1-13 und Tit. 1, 5-9. Solchen das Heiraten zu verbieten, ist nach 1. Tim. 4, 1-3 Dämonenlehre. Man setzt an Stelle der hie und da einem Bruder oder einer Schwester geschenkten Gnadengabe, die diese zu einem freiwilligen Verzicht befähigt, ein Gesetz mit seinen ungöttlichen Forderungen. Damit ist man aber aus der Gnade gefallen und wieder geknechtet unter die Elemente der Welt, indem man durch Beobachtung solcher Satzungen den dahinterstehenden Inspiratoren dient, nämlich Engeln und Dämonen. Vgl. Kol. 2, 18-23; Gal. 3, 19; Apg. 7, 53 und Gal. 5, 4; 4, 8-11.

Würde man solche Unterschiede beachten, vor allem dies, daß Gott in den verschiedenen Zeiten und Zeitaltern ganz verschiedene Ziele und entsprechende erzieherische Absichten hat, die schon in den oben angegebenen verschiedenen Speisevorschriften zum Ausdruck kommen, dann würde man, wie in einem geordneten Haushalt, alles für die Zeit gültig sein lassen, für die es von Gott vorgesehen ist. Man erinnere sich hier, daß weiter oben ein Zitat von Prof. König, Bonn, angeführt wurde, nach dem ewig (äonisch oder zeitalterlang) soviel bedeutet wie: für die Zeit gültig, für die es verordnet ist. Das einfache Beachten der Adressaten und der Zeitalter, für die etwas verordnet ist, würde es den vielen Sekten des Verderbens unmöglich machen, ihren Wirrwarr an den Mann zu bringen. Sie „beweisen“ doch ihre ungöttliche Lehre einfach damit, daß sie sagen: Es steht doch in der Bibel! Hiergegen vermögen die unbefestigten Seelen, die ihnen meist zum Opfer fallen, natürlich nichts einzuwenden. Sie vergessen, daß der Satan den Herrn auch versuchte mit Worten, die in der Bibel stehen, die aber erst in einem anderen Zeitalter in Erfüllung gehen sollen. Der Herr wußte, daß ihm bei seinem ersten Kommen nicht die Reiche der Welt zu Füßen gelegt werden sollten, sondern daß dies erst bei seinem Kommen in Herrlichkeit erfüllt werden sollte. Er wurde nicht irre, wie Johannes der Täufer oder Petrus und die anderen Jünger, sondern wandte jedesmal die Schriftworte als Entgegnung an, die auf seinen Weg in Niedrigkeit Bezug hatten.

Je mangelhafter die Erkenntnis eines Menschen ist, um so schneller ist er geneigt, die Unordnung und Disharmonie des eigenen Wesens beim Lesen des Wortes Gottes in dasselbe hineinzutragen. Dadurch wird auch das Bild Gottes unklar und verworren. Nur in einem klaren Spiegel zeichnet sich der betrachtete Gegenstand klar und deutlich ab. So kann auch das Wesen Gottes, die Liebe, nur in einem Herzen klar zum Bewußtsein kommen, in dem die Liebe Gottes, die in dieses Herz ausgegossen ist durch den Heiligen Geist, so überströmend geworden ist, daß sie zur Erkenntnis und zu aller Einsicht hinführt. Das Wesen Gottes spiegelt sich göttlich rein nur in seinem eigenen Wesen, das er zuvor ausgegossen hat in ein Menschenherz. So gereinigte Herzen werden Gott schauen. Sie sind auch vermögend, zu prüfen, was in jedem Einzelfall das Vorzüglichere sei (Phil. 1, 9-11). Der Wind irgendeiner Lehre wird sie nicht hin- und herwerfen, sondern sie „gelangen zu allem Reichtum der vollen Gewißheit des Verständnisses des Geheimnisses Gottes, Christi, in welchem verborgen sind alle Schätze der Weisheit und der Kenntnis!“ (Kol. 2, 1-5). Das ist der köstlichere oder vortrefflichere Weg, der noch über den Besitz aller Gnadengaben hinausgeht (1. Kor. 12, 31 und 13, 1-13). Und auf diesem Weg kann selbst der Tor nicht irren, weil die Liebe in ihrem Wesen und in ihrer Inbrunst nicht abhängig ist von großem Verstand oder philosophischer Schulung.

Wo aber diese Liebe vorhanden ist, da teilt sich Gott in voller Hingabe dem mit, der sich ihm hingibt. Da strömt die Liebe über zu aller Erkenntnis und Einsicht, und auf dem liebenden Grunde des hingegebenen Herzens zeichnet sich in immer größerer Klarheit das geliebte Bild.

Das ist ein Einswerden von zweien, Erkenntnis schaffend und neues Leben zeugend, nicht nur ein Wissen um solche Dinge, sondern ein wesenhaftes Besitzen.

In diesem vertrauten Umgang erschließt Gott sein Vaterherz und tut seine Geheimnisse kund (Ps. 25, 14 mit Anmerkung in der Elbf.; Eph. 1, 8-11).

Da erschließt er auch das Geheimnis seines Willens, den Plan der Zeitalter, den er ausführen will in der gesamten Fülle der Zeiten, den Ablauf und die Ordnung dieser Zeiten, wovon er sagt, daß dies den Weisen und Klugen verborgen sei.

Wie einschneidend eine solche Erkenntnis der Reihenfolge des göttlichen Heilsplanes sich auswirkt, sehen wir an dem Beispiel des Petrus. Er fragt noch nach der Auferstehung des Herrn nur nach dem Heil seines Volkes Israel. Ebenso auch die übrigen Jünger (Apg. 1, 6). Dann erhält er von Gott selbst Belehrung über die Reinigung der Nationen (Apg. 10, 9-16). Und in Vers 34-48 desselben Kapitels wird uns die Wirkung dieser neugewonnenen Erkenntnis gezeigt. In Kap. 15, 14-17 aber zeigt es sich bereits in viel größerer Klarheit, wie Petrus, Jakobus und die anderen von ihrer nationalen Bindung und Beengung freigeworden sind und erkannt haben, daß in dieser Zeit nicht Israel an die Reihe kommen sollte, sondern eine Auswahl aus den Nationen für seinen Namen. Nach diesem erst soll die zerfallene Hütte Davids wiedergebaut werden, also Israel an die Reihe kommen. Israels Errettung hat den Zweck, als dritte Gruppe die auf der Erde nach den großen Katastrophen der Offenbarung noch übrig gebliebenen Menschen zu retten zur Teilnahme an dem Tausendjährigen Reich. Zuletzt werden dann alle Menschen gerettet, die in allen Zeitaltern dahingestorben sind, über die aber der Name des Herrn angerufen worden ist.

Zu seinen Lebzeiten konnte der Herr seinen Jüngern dies noch nicht sagen, weil sie es noch nicht zu tragen vermochten (Joh. 16, 12). Er fing daher nur an, beides sowohl zu tun, als auch zu lehren (Apg. 1,1). Die Zwölfe auf der Linie Israels durften nach seiner Auferstehung in der ihnen durch den Heiligen Geist vermittelten Klarheit und Kraft größere Dinge tun, als er selbst getan hatte (Joh. 14, 12). Den vollen Aufschluß über den Heilsplan Gottes mit dem Endziel, das gesamte All zur Sohnschaft zu führen und unter einem Haupt zu vereinigen, erteilte der Auferstandene und Verherrlichte erst dem Apostel Paulus. Dieser darf bis ans Ende schauen, bis zu dem Ziel, daß Gott alles in allem sein wird. Soweit schaute selbst der Seher von Patmos, Johannes, nicht, der die Offenbarung (das Offenbarwerden) Jesu Christi beschreibt bis zu dem großen Gericht und dann noch den Eingang schildert in das Zeitalter der Wiederherstellung aller Dinge. (Hierüber noch einiges in dem Kapitel von der Heilung der Nationen.) Dem Apostel Paulus aber wurde der besondere Auftrag Gottes zuteil, sein Wort zu Ende zu bringen, es zu vollenden (Kol. 1, 25 mit Anmerkung in der Elbf.).

Das Wort Gottes ist nicht nach äußeren, zeitlichen Gesichtspunkten geordnet, sondern nach inneren, geistlichen Zusammenhängen. So stehen die Dinge, die Gott vor Grundlegung der Welt getan hat, nicht in einem besonderen Vorwort vor der Bibel, sondern erst in den letzten Büchern; z.B. Eph. 1, 4; 2. Tim. 1, 9 u. a. Der Apostel, der am weitesten in die Zukunft schauen durfte, Paulus nämlich, durfte auch am weitesten zurück in die Vergangenheit der Äonen schauen. Er allein darf die verborgene Weisheit Gottes beschreiben: die Dinge, die kein Auge gesehen, kein Ohr gehört und die in keines Menschen Herz gekommen sind, hat Gott ihm und allen auf dieser neuen Linie gläubig Gewordenen geoffenbart (1. Kor. 2, 6-13; Eph. 3, 8-11; Kol. 1, 25; 1. Tim. 1, 11 u. a. ).

Beachten wir diesen besonderen Auftrag nicht, der dem Apostel Paulus erteilt worden war, um das  Wort Gottes auf sein Vollmaß zu bringen, so berauben wir die Frohe Botschaft Gottes ihrer Krone und kommen in die große Gefahr, Schriftaussagen, die für die verschiedenen Teilziele der einzelnen Zeitalter gültig sind, auf das Endziel der Fülle der Zeiten anzuwenden.

Man wird deshalb auch stets die Erfahrung machen, daß von allen Einwürfen gegen die Allversöhnung nicht ein einziger aus den Briefen des Apostels Paulus stammt. Das sollte doch allein genügen, einen Gläubigen zum Nachdenken zu bringen, weil doch Paulus der einzige ist, der bis zum vollen Ende schauen durfte, und dem es gegeben war, das Wort Gottes zu vollenden.

Ohne eine bestimmte Erkenntnis der göttlich festgesetzten Ordnung des Laufes der Zeitalter kommt man deshalb mit allen diesen Fragen nicht zurecht. Darum fehlt auch notwendigerweise der Blick für die im Wesen Gottes vorhandene Harmonie. Auf dem Charakter Gottes bleiben tiefe Schatten liegen, herrührend aus dem Konflikt zwischen seinem ursprünglichen Wollen und seinem durch das Geschöpf gehemmten Können. Damit überträgt man die Differenzen, die in der eigenen Brust vorhanden sind, auf den, bei dem es keinen Schatten noch Wechsel des Lichtes gibt, auf Gott, in dessen Wesen keine Differenz vorhanden ist.

Wo aber die Voraussetzungen biblischer Erkenntnis vorhanden sind, nämlich Glaube an den Herrn Jesus und Liebe zu allen Heiligen, da hat der Geist der Weisheit und der Offenbarung Raum, den Glaubenden zur Erkenntnis seiner, des Vaters der Herrlichkeit, selbst zu führen, damit wir mit erleuchteten Augen des Herzens die Größe der Kraftwirkung erkennen, die den Christus aus den Toten wiederbrachte und ihn als Haupt über das All der Gemeinde gegeben, die sein Leib ist, die Fülle (das Pläroma) dessen, der das All in allem zur Erfüllung bringt (Eph. 1, 15-23; Kol. 1, 3.4.9.10).

Die Liebe zu allen Heiligen öffnet erst den Weg zur allgemeinen Menschenliebe. Es ist darum nicht genug, nur eine Lehre von der in Christo vorhandenen Einheit der Gläubigen bzw. seines Leibes zu haben, sondern das Wort des Lebens soll dargestellt werden, ihm zum Ruhm. Es ist darum auch nicht verwunderlich, daß überall da, wo man sich auf seinen Kreis oder Zirkel beschränkt, der Blick für das Ganze verloren geht. Wo die Liebe zu allen Heiligen nicht praktisch betätigt wird, ist das Reden von der Liebe zu Gott nur eine heuchlerische Lüge (1. Joh. 4, 20.21; 3, 14-22). Da fehlt erst recht die Liebe zu allen Menschen. Ohne diese aber ist in dem Herzen kein Untergrund vorhanden, auf dem sich die Liebe Gottes zu allen Menschen, ja, allen Geschöpfen abspiegeln könnte. Da offenbart er nicht in vertrautem Umgang sein innerstes Wesen; denn seine herrliche Person ist ihm zu erhaben, als daß er sie als Reklameschild für irgendeinen Kreis dienen lassen könnte, einerlei, ob dieser Kreis groß oder klein ist, ob organisiert oder nichtorganisiert. Der Vater liebt die Welt. In wem nicht diese Liebe des Vaters ist, dem bleibt die Allversöhnung ihrem tiefsten Wesen nach verhüllt, wenn er auch noch so viele Worte darüber hört. „Mit sehenden Augen wird er nicht sehen, und mit hörenden Ohren wird er nicht hören.“ Wo aber der Gleichklang der Liebe zwischen einem Menschenherzen und dem Herzen Gottes hergestellt ist, da herrscht Harmonie, und da erschließt er auch die Harmonie seines Wesens.

Die Vollendung des Gerichts

Dem Glaubenden erweist Gott schon in der Jetztzeit seine Gnade und Güte. „Wer glaubt, kommt nicht ins Gericht“ (Joh. 5, 24). Dem Ungläubigen aber droht das Gericht in seiner ganzen Schwere. Der Zorn Gottes ist nicht von ihm genommen, sondern er bleibt über ihm, bis daß Gott seinen Grimm völlig ausgegossen und seinen Zorn vollendet hat. „Es ist schrecklich, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen“ (Hebr. 10, 31). Er ist ein heiliges und „verzehrendes Feuer“ (Hebr. 12, 29). Allen denen, die seine Gnade ablehnen, bleibt nur das furchtbare Erwarten eines schrecklichen Gerichts.

Gott führt das Gericht völlig hinaus. An dem Beispiel des Gerichts an Sodom und Gomorra zeigt er, daß es ihm mit seinen Gerichtsdrohungen völlig ernst ist. Besonders gegen den, der nie Barmherzigkeit geübt hat, wird ein unbarmherziges Gericht ergehen (Jak. 2, 13).

Es wäre deshalb ein gewissenloser Frevel, das Gericht seines furchtbaren Ernstes entkleiden zu wollen. Jede Abschwächung der Strenge Gottes gegen die Gefallenen, Widersprechenden und Lästernden wäre ein Rütteln an der Heiligkeit und Gerechtigkeit Gottes. Solch sträflicher Leichtsinn müßte sich an den Betreffenden selbst rächen. Gerade das Wissen um den Ernst der Lage verpflichtet uns, alles zu tun, was in unserer Kraft steht, um Menschenseelen zurückzuhalten von dem Weg des Verderbens. „Da wir den Schrecken des Herrn kennen, so überreden wir die Menschen“ (2. Kor. 5, 11).

Dies ist aber nur die eine Seite der Sache. Sie ist vom Menschen aus gesehen und stellt unseren Anteil als Mitarbeiter Gottes dar und unsere Mitverantwortung gegen unsere Nächsten. Wäre ihre Errettung nicht letzten Endes von Gott abhängig, sondern von unserer Arbeit an ihnen, dann müßte uns das zum Wahnsinn führen. Wie könnten wir es dann verantworten, auch nur eine Stunde des Tages zu schlafen, während draußen unaufhaltsam ein Strom von Menschen unversöhnt ins Totenreich dahingeht? - Dann müßten gerade die Gegner der Allversöhnung Tag und Nacht arbeiten, um keinen hingehen zu lassen in die „endlose“ Qual. Da wäre jeder Aufenthalt in der eigenen Familie, jeder Spaziergang, jedes Lesen von Büchern, Zeitschriften usw. unverantwortliche Sünde, weil in dieser Zeit der Strom zum Totenreich immer weiterfließt. Ja, jede Versammlung der Gläubigen unter sich zum Zwecke der Erbauung wäre nur fromme Selbstsucht, da in dieser Zeit an Menschenseelen gearbeitet werden müßte. Auch die Zeit, die wir unserem irdischen Beruf widmen, wäre nicht mehr einzubringen. Kein Gläubiger dürfte dann etwas anderes mehr tun, als Missionsarbeit an Ungläubigen treiben, bis er nach einiger Zeit der Hetzjagd erliegen würde.

Da ist es dem Glaubenden ein Trost, wissen zu dürfen, daß der Herr selbst hinzubringt, soviele ihrer in jedem Zeitalter an die Reihe kommen sollen (Apg. 2, 47; 13, 48). Darüber hinaus aber wissen wir, daß er „nicht immerdar hadert, noch ewiglich Zorn hält“ (Jes. 57, 16). So wie eine Abschwächung der Strenge Gottes gegen die Rebellen ein Rütteln an seiner Heiligkeit wäre, so ist die Lehre von dem endlosen Zorn ein Verbrechen an seinem innersten Wesen, an der Liebe.

Wenn die letzten sieben Plagen vorüber sind, ist auch sein Zorn vollendet (Offb. 15, 1). Dann entfliehen Erde und Himmel, und in dem Gericht vor dem großen weißen Thron findet das Zeitalter des Gerichts seinen Abschluß. Man beachte in diesem Zusammenhang auch, daß die große Zukunftsrede des Herrn in Matth. 24, die von den kommenden Gerichten redet und mit der Erschütterung der Erde und des Himmels abschließt, seine Antwort darstellt auf die Frage der Jünger: „Wann wird dieses sein, und was ist das Zeichen deiner Ankunft und der Vollendung des Zeitalters?“ (Matth. 24, 3).

Der Prophet Zephanja redet auch von diesem Gericht. In Kapitel 1. Vers 2 und 3 spricht Jahwe: „Ich werde alles von der Fläche des Erdbodens gänzlich wegraffen; ich werde Menschen und Vieh wegraffen, ich werde wegraffen die Vögel des Himmels und die Fische des Meeres, und die Ärgernisse samt den Gesetzlosen; und ich werde die Menschen ausrotten von der Fläche des Erdbodens, spricht der Herr.“ - In Kapitel 3, 8 sagt er: „Darum harret auf mich, spricht Jahwe, auf den Tag, da ich mich aufmache zur Beute! Denn mein Rechtsspruch ist, die Nationen zu versammeln, die Königreiche zusammenzubringen, um meinen Grimm über sie auszugießen, die ganze Glut meines Zornes; denn durch das Feuer meines Eifers wird die ganze Erde verzehrt werden.“ Dies bezeugt auch Petrus in 2. Petr. 3, 7-12; s. a. Hebr. 1, 10-12; Jes. 51, 6; Matth. 24, 35 usw.

Nachdem aber die Erde im Brand aufgelöst ist und alle Bewohner ausgerottet sind (Zeph. 3, 8), „wandelt Gott die Lippen der Völker in reine Lippen um, damit sie alle den Namen des Herrn anrufen und ihm einmütig dienen“ (Zeph. 3, 9).

Das ist das Ziel seiner Gerichte, die Unreinheit aus dem gesamten Weltall hinauszuschaffen, damit nie mehr seine Heiligkeit durch deren Anblick verletzt wird. Wie der Arzt nach ansteckenden Krankheiten seine Instrumente im Feuer ausglüht und reinigt, sowie die Krankenzimmer mit Schwefel desinfiziert, so erledigt der Herr jeden Ansteckungsstoff der Sünde in dem Feuersee, der mit Schwefel brennt.

Da bleibt nichts übrig von all dem, was das All ins Unglück gebracht hat. Er führet das Gericht hinaus zum Sieg. Nicht mit letzter Kraft und nur so mühsam gelingt ihm das, sondern „er führet alles herrlich hinaus“ (Jes. 28, 29).

Seine Gerichte sind nicht Selbstzweck, sondern Wegbereiter zu dem Ziel seiner Liebe. Er zerschlägt und plagt nicht von Herzen die Menschenkinder, sondern er zerschlägt, um zu heilen; er tötet und macht lebendig; er führt in den Hades und wieder heraus (Klagel. 3, 33; 1. Sam. 2, 6).

Ein Gläubiger vergangener Jahrhunderte sagte einmal: „Die Menschen richten hin, - Gott richtet her.“

Was Gott unter richten versteht, sehen wir deutlich genug in der Schrift. Er will alles richtig machen, recht machen oder ausrichten zum rechten Ende. Davon gibt uns ein ganzes Buch, das Buch der Richter, Zeugnis. Wie oft war Israel in Sünde gefallen und mußte von Gott schwer gestraft werden. Dann schrieen sie in ihrer Not, und er erweckte ihnen Richter. Diese waren nicht dazu da, das Volk hinzurichten, sondern herzurichten für den Herrn. Sie halfen dem Volk, und so ward der Richter ihnen zum Heiland, zum Zurechtbringer.

Es ist immer beachtenswert, wie ein Wort zum erstenmal in der Heiligen Schrift gebraucht wird. Das Wort Gericht kommt zum erstenmal in 2. Mose 6, 6 vor. Dort sagt der Herr: „Ich will euch erlösen durch große Gerichte.“ Weiter sagt er von seinem Volk in Jes. 1, 27: „Zion wird erlöst werden durch Gericht.“ Der Gesetzlose lernt nur auf diesem Wege Gerechtigkeit. Darum erwarten die Gläubigen den Herrn auf dem Pfade seiner Gerichte (Jes. 26, 8-10). Und sie sind fröhlich um seiner Gerichte willen (Psalm 48, 12 [11]). Selbst für die Nachkommen Esaus erweckt er Richter-Heilande, um sie zu retten (Obadja 21). Und wenn sich am Ende der Tage, am Tage seines großen Gerichts, der Herr mit Israel verloben will, dann „verlobt er sich in Gerechtigkeit und in Gericht“ (Hos. 2, 21 [19]). Man beachte hier auch, wie der Herr in Kap. 1, 6 sagt, er wolle sich fortan des Hauses Israel nicht mehr erbarmen, daß er ihnen irgendwie vergebe; aber in Kap. 2, 23 sagt er, daß er sich ihrer wieder erbarmen will. Da muß man doch unbedingt zu der Erkenntnis kommen, daß jedes Urteil nur für die Zeit gültig ist, für die es bestimmt ist. Dann hat es ausgerichtet, wozu es bestimmt ist, und damit verliert es laut Gesetz seine Gültigkeit. Wäre es anders, so bestünde zwischen diesen beiden Aussagen Gottes ein unlösbarer Widerspruch.

Möge der Herr uns Verständnis schenken, daß bestimmte Zeiten gesetzt sind, um die Übertretung zum Abschluß zu bringen, den Sünden ein Ende zu machen, die Ungerechtigkeit zu sühnen und eine ewige Gerechtigkeit einzuführen (Dan. 9, 24.25).

Er ruht auch auf dem Wege seiner Gerichte nicht eher, bis er das Gericht hinausgeführt hat zum Sieg (Matth. 12, 20). Die Tiefen seiner Gerichte dienen dazu, das All, das von ihm herkommt, durch ihn erhalten wird und zu ihm hingeht, zurechtzubringen (Röm. 11, 32-36). Darum steht auch nicht das Gericht am Ende seiner Wege, sondern nach dem Gericht und über das Gericht triumphiert die Barmherzigkeit (Jak. 2, 13).

Der Sohn selbst sieht das Gericht nicht als Endzweck an, obwohl ihm alles Gericht von seinem Vater übergeben ist (Joh. 5, 22.27); denn der Vater richtet niemand, so richtet auch der Sohn niemand (Joh. 3. 17; 12, 47). Er hat vielmehr dieses Gericht den Heiligen übergeben (1. Kor. 6, 2.3; Offb. 20, 4). Die Methode aber, nach der er selbst die Richter für das kommende Gericht ausbildet, findet sich in Matth. 7, 1.2. Wer sich schon hier in diesem Leben als unbarmherziger Richter ausweist, wird von dem Vater der Barmherzigkeit nicht im Richterdienst verwendet, sondern bekommt selbst ein unbarmherziges Gericht zu schmecken (Jak. 2, 13).

Auch hier erweist es sich wieder, daß der Vater der Barmherzigkeit darauf sinnt, daß der Verstoßene nicht von ihm weg verstoßen bleibt. Der ich-versöhnte Mensch aber möchte dieses Gericht zu einem bleibenden machen, damit er selbst auch den gehörigen Lohn für seine Bekehrung habe, während alle anderen ohne jeden Zweck und ohne jede Aussicht auf irgendeinen Erfolg ohne Aufhören gequält werden.

Während nun draußen die Verstoßenen sind, deren Teil das Weinen und das Zähneknirschen ist, freuen sich drinnen die Gläubigen mit völliger Freude!! Ja, nach den Worten eines hochangesehenen Gläubigen wird dies gerade die Seligkeit der Seligen noch erhöhen, daß sie die Qualen der Verdammten sehen dürfen!!

Gott aber, der verheißen hat, daß er einmal alles neu machen will, sodaß kein Leid, noch Geschrei, noch Schmerz mehr sein wird, er sinnt darauf, daß der Verstoßene nicht von ihm weg verstoßen bleibe. Er geht den Weg seiner Gerichte bis zum völligen Sieg seiner Liebe. Und einer, in dessen Herz ein Strahl dieser Liebe gefallen ist, singt:

Drum kann nicht Ruhe werden,
Bis deine Liebe siegt,
Bis dieser Kreis der Erden
Zu deinen Füßen liegt;
Bis du im neuen Leben
Die ausgesöhnte Welt
Dem, der sie dir gegeben,
Vors Angesicht gestellt.

Die Heilung der Nationen

Gottes Gerichte sind niemals zwecklos, wie es überhaupt kein Tun Gottes gibt, das nicht letzten Endes seinen Namen groß und herrlich macht vor allen seinen Geschöpfen. Gott zer­schlägt darum auch im Gericht den Menschen nicht deshalb, um sich an seinen Qualen zu weiden. Dies ist eine furchtbare Lästerung. Eindeutig bezeugt es die Schrift, daß er „nicht von Herzen plagt und betrübt die Menschenkinder“. Wenn er zerschlägt, so heilt er auch wieder, ja, er zerschlägt, um zu heilen. Er tötet nicht nur, sondern er macht auch lebendig. Und die, die er in den Hades führt, führt er auch wieder heraus.

Er läßt die Menschen sterben wie Gras, läßt sie zum Staub zurückkehren. Dann aber, wenn die Zeit gekommen ist, da sie an die Reihe kommen sollen, spricht er: „Kehrt wieder, ihr Menschenkinder!“ Dabei werden tausend Jahre nur wie ein Tag, ja, wie eine Nachtwache für ihn sein (Ps. 90, 3.4). Und gerade in diesem Wiederbringen der Toten erweist er seinen Charakter (Hebr. 13, 20). (Siehe auch die Anmerkung in der unrev. Elbf.: „der Wiederbringer aus den Toten; eine charakteristische Bezeichnung Gottes“.) Vergl. Zeph. 3, 8.9; Jes. 19, 22-25; Ps. 22, 27; 86, 9.10; Hab. 2, 14 u. a. Dann wird der verlorene Zustand von 1. Mose 11, 1 in viel herrlicherer Weise wieder hergestellt sein. Nach dem Ende alles Fleisches kommt dann die Einheit im Geist, von der uns Apg. 2, 4 schon einen Vorgeschmack gibt.

In dem Gericht vor dem großen weißen Thron hat Gott jedes Rebellentum endgültig erledigt und alles Greuelwesen der Vernichtung im Feuersee preisgegeben. Da alles Fleisch verzehrt ist, hat die Sünde kein Material mehr, um sich offenbaren zu können. Auch ist ihre Ursache beseitigt. Alle Wesen, die die Weisheit und Gerechtigkeit Gottes anzweifelten, sind von seiner unantastbaren Gerechtigkeit und seiner unergründlichen Weisheit überführt. Nun kehren alle beschämt um, die wider ihn entbrannt waren, und bekennen: „Im Herrn habe ich Gerechtigkeit und Stärke“, oder: „Nur in dem Herrn ist Gerechtigkeit und Stärke“ (Jes. 45, 22-24).

Sollte da der Herr unaufhörlich weiter quälen? Nein, das lehnt er deutlich ab in seinem Wort. „Denn ich will nicht ewiglich rechten und nicht immerdar ergrimmt sein; denn der Geist würde vor mir verschmachten, und die Seelen, die ich ja gemacht habe“ (Jes. 57, 16). Ja, der in der Höhe und im Heiligtum wohnt, belebt den Geist der Zerschlagenen (Jes. 57, 15). Nicht läßt er den Geist verschmachten, der von ihm ausgegangen ist, noch die Seelen, die er gemacht hat, die durch ihn zum Leben erwachten und sich ihres Daseins bewußt wurden. Schon das zum Leben bestimmte Brotkorn wird nicht zermalmt (Jes. 28, 27-29), wieviel weniger das Leben selbst.

Auch der Tod ist nur eine Durchgangsstation für den alles neu machenden Gott. Schon unsere Gärtner versetzen die Pflanzen, die sie zu „ihrer“ (der Pflanzen) Zeit nicht verwenden können, in einen Todesschlaf. Im Frühjahr, wenn die Maiblumen zu sprießen beginnen, bringt der Gärtner alle die, die er um diese Zeit nicht verwenden kann, in den unterirdischen dunklen Keller, der durch Eis dauernd auf einer tiefen Temperatur gehalten wird. Da treiben die Pflanzen nicht weiter. Zur gegebenen Zeit aber, wenn er sie verwenden will, läßt er sie wieder zurückbringen ans Licht der Sonne. Die hat „Heilung unter ihren Flügeln“, und in wenigen Tagen blühen sie so schön, wie ihre Geschwister im Frühjahr blühten.

So macht es Gott auch. Er rettet zur Jetztzeit nur den Anbruch aus allen Nationen. Diese „Erstlinge des Geistes“ sind nur eine „gewisse Erstlingsfrucht seiner Geschöpfe“ (Jak. 1, 18). Alle anderen sind in den dunklen Kammern des Totenreiches und warten des Rufes: „Kehrt wieder, ihr Menschenkinder!“

Zuletzt, wenn auch der Tod seine Arbeit getan und seinen Erziehungszweck erfüllt hat, wird auch er als letzter aller Gottesfeinde hinweggetan (1. Kor 15, 26).

Dann beginnt Gott, alles neu zu machen. Den Anfang macht er mit dem Aufenthaltsplatz für die erneuerte und die zu erneuernde Menschheit. Denn auf der neuen Erde leben auch noch zwei Gruppen von Menschen. Da sind solche, die bereits in ihrem jetzigen Erdenleben erneuert wurden zum Bilde des, der sie erschaffen hat. Ihr Wohnplatz ist das neue Jerusalem, das vom Himmel auf die Erde herniedergekommen ist. Dort wohnen sie in der Gegenwart Gottes und des Lammes. In die Stadt darf nichts Unreines oder Gemeines eingehen. Dort fließt der Strom vom Wasser des Lebens, und der Baum des Lebens steht zu beiden Seiten des Stromes und in der Mitte ihrer Straße und trägt in jedem Monat seine Frucht (Offb. 21 u. 22). Sie ist das Teil derer, denen dieses Recht gegeben ward, vom Holz des Lebens zu essen. Es sind die Überwinder, die dies alles ererben.

Draußen, vor der Stadt, sind die Zauberer und die Hunde und die Hurer und die Mörder und die Götzendiener und jeder, der die Lüge liebt und tut. Sie sind durch das Gericht des Feuersees hindurchgegangen, das alles geschöpfliche Wesen an ihnen verzehrte. Nun sollen sie gesunden von dem langen, schweren Leiden, das hinter ihnen liegt. Die Früchte des Lebensbaumes sind ihnen noch verwehrt. Da dienen ihnen die Blätter des Baumes des Lebens als Heilmittel. „Die Blätter des Baumes sind zur Heilung (Therapie) der Nationen“ (Offb. 22, 1.2).

Das Alte ist vergangen. Noch ist hier zu diesem Zeitpunkt nicht alles neu geworden. Die Offenbarung leitet aus dem Zeitalter des Gerichts nur über in die Zeiten der Wiederherstellung aller Dinge (Apg. 3, 21). Dieses Buch beschäftigt sich in seinem mit Kap. 4, 1 beginnenden Hauptteil bis Kap. 20 mit den Zeiten des Gerichts. Die ersten drei Kapitel reichen noch zurück in die angenehme Zeit, in die Zeit der Gnade. Dann folgen in 17 Kapiteln (von 4-20) die Zeiten des Gerichts. Der Ausgang der Offenbarung leitet dann über zu den Zeiten der Wiederherstellung aller Dinge. Einzelheiten werden nicht mehr gegeben, obwohl diese zum Teil schon im Alten Testament zu finden sind. Man vergleiche nur einmal Jes. 11, 6-9 mit Offb. 22. Hier geht Jesaja weit über die Offenbarung hinaus. Während diese nur aus dem Gericht überleitet zur Wiederherstellung, sieht Jesaja bereits die neue Tierwelt. Denn Gott verwahrt alle Seelen. Er hat gesagt: „Alle Seelen sind mein.“ Aber auch Jesaja sieht noch lange nicht bis ans Ende. Erst Paulus enthüllt uns in Röm. 8, 18-23 das Ziel, das sich Gott auch mit der Tierwelt gesteckt hat. Die gesamte Kreatur, die der Vergänglichkeit unterworfen wurde, ohne mit Wissen und Willen gegen Gott gesündigt zu haben, ist der Sterblichkeit (Eitelkeit, Vergänglichkeit) für bestimmte Zeit auf Hoffnung unterworfen. Dann wird in den Zeiten der Wiederherstellung aller Dinge auch sie erneuert und in der Vollendung erhoben zu derselben herrlichen Freiheit, wie die Kinder Gottes auch. Dies geschieht, indem er seinen Geist ausgießt auf alles Fleisch. Und „ein anderes Fleisch ist das der Menschen, und ein anderes das Fleisch des Viehs, und ein anderes das der Vögel, und ein anderes das der Fische“ (1. Kor. 15, 39). Dann erst wird alles, was Odem hat, den Herrn loben.

Dies alles ist zu Beginn der Zeiten der Wiederherstellung aller Dinge noch nicht vollendet, sondern erst angefangen. Aber nachdem Gott diese Zeiten eingeleitet hat durch die Schaffung eines neuen Wohnplatzes, gibt er die herrliche Verheißung: „Siehe, ich mache alles neu!“

Von da an, wo das Alte vergangen ist und mit der Schöpfung des neuen Wohnplatzes und mit der Heilung der Nationen eine neue Zeit zu laufen begonnen hat, gibt es keinerlei Fluch mehr (Offb. 22, 3). Selbst die Schlange wird nicht mehr beißen. - Wer es fassen kann, der fasse es!

Schlusswort

Jede Erkenntnis, die nicht ihren Niederschlag findet im praktischen Leben, bleibt fruchtleer und mehrt nur die Verantwortung für ihren Empfänger. Wer die gewaltige Zukunftsaufgabe des Christus (und seines Leibes auf der Mit-Ihm-Linie) erkannt hat, ist verpflichtet, dieser hohen und herrlichen Berufung würdig zu wandeln. Die Gesinnung des Christus und der Geist der Versöhnung sollte nirgends leuchtender gefunden werden als bei dem, der den Willen Gottes in bezug auf die Versöhnung des ganzen All begriffen, erfaßt und erkannt hat. Der Trieb zur Rettung der Verlorenen wird dann nirgends aus einer reineren Quelle fließen als da, wo er aus der Erkenntnis der letzten Liebesziele Gottes hervorkommt.

Die Galerie der Glaubenshelden aus Hebräer 11 ist uns Beweis dafür, daß weltüberwindender Glaube herkommt aus dem Schauen und Ergreifen zukünftiger Hoffnungsgüter. Sollte der, der an die Versöhnung des All glaubt, nicht auch an die Versöhnung mit seinen Brüdern glauben? - Und wie haben in den letzten Jahrhunderten solche, die dieses hohe Endziel der Liebe Gottes erkannten, mit heiliger Liebesglut sich um das Verlorene gemüht, wissend, daß keine Mühe vergebens ist, sondern endlich vollen Lohn empfängt!

Diese Gottesliebe sucht nicht das Ihrige, wo doch alle Menschen das Ihrige suchen. Darum rechnet sie Böses nicht zu, sondern vernichtet die alte Rechnung und schenkt ein Vergessen dessen, was dahinten liegt. Darum erträgt sie alles, glaubt sie alles, hofft sie alles und erduldet sie alles.

Und wenn alle äonische Gottesoffenbarung mit der Vollendung der Zeitalter ihr Ende gefunden und alles geschöpfliche Wesen in das Wesen Gottes hineinverwandelt ist, dann werden Prophezeiungen, Sprachen, Erkenntnis und alles Stückwerk aufhören.

Die Liebe aber hört nimmer auf.

Denn Gott ist die Liebe!

(Quelle: "Ewiges Gericht und Allversöhnung"; Paulus-Verlag Karl Geyer; Heilbronn)