Kirche + Welt Internet Ausgabe

Kirche + Welt - Nr. 04/2005 Februar - 24.02.2005   Zurück zur Übersicht   Kirche + Welt abonnieren

Die Hölle ist leer!

von Christoph Schluep-Meier*

Die Lehre von der Allversöhnung ist eine der umstrittensten in der Kirche. Ketzerei oder grösste Hoffnung des Glaubens? Ein Plädoyer für eine zu Unrecht verfemte Vorstellung.

Verdammungen, Kirchenspaltung und Scheiterhaufen verfolgen sie seit Jahrhunderten, die Lehre von der Allversöhnung. Schon Origenes, Kirchenvater der Antike (184–254 n.Chr.), lehrte die Lehre von der Wiederbringung aller Dinge, dass am Ende der Zeit alles zu Gott zurückgeführt wird, auch die Ungläubigen. Anstoss dazu gegeben hat Paulus: «Wenn dem Sohn aber alles unterworfen ist, dann wird auch der Sohn selbst dem unterworfen sein, der ihm alles unterworfen hat, damit Gott alles in allem sei.» (1 Ko 15, 28) Origenes wurde für diese Lehre verdammt.

Geheime Verbreitung – Geheime Zustimmung

Später fand die Allversöhnung Vertreter unter den Pietisten, allerdings nur unter der Hand: «Ein Ochs, wer sie nicht kennt, und ein Esel, wer sie lehrt.» Der Theologe Emil Brunner war ihr zugeneigt, auch der Theologe Karl Barth bekundete Sympathien: «Ich lehre sie nicht, aber ich lehre sie auch nicht nicht.» Selbst in der EMK finden sich etliche AnhängerInnen, aber meist nur im Geheimen, denn für viele ist sie noch immer eine arge Ketzerei, die biblisch nicht belegt ist. Aber das täuscht: Neben der Korintherstelle redet vor allem Kol 1, 20 eine deutliche Sprache: «Es gefiel Gott, die ganze Fülle in Christus wohnen zu lassen und durch ihn alles mit sich zu versöhnen, … sei es, was auf der Erde oder was in den Himmeln ist.» (Vgl. auch Phil 2, 9 und Eph 1, 9 f.) Es stimmt, dass Aussagen zum Gericht über die Ungläubigen in der Bibel viel weiter verbreitet sind, aber wenn wir die Bibel nicht nur wörtlich, sondern ernst nehmen, dann muss jede Aussage auf ihren Wahrheitsgehalt hin geprüft werden.

Allversöhnung – Was ist das?

Allversöhnung lehrt, dass Gott das, was er anfängt, auch zu Ende führt. Wenn Gott aus lauter Liebe Menschen schafft, dann lässt er sie am Ende der Zeit nicht fallen, selbst wenn sie sich von ihm abgewandt haben. Er bleibt ihr Vater und sie seine Kinder.Denn in Christus versöhnt Gott die
Welt (2 Ko 5, 18; Joh 3, 16) gegen all ihren Widerstand, und selbst wenn er dazu die absolute Gottesferne auf sich nehmen und bis in die tiefsten Tiefen des Todes vordringen muss. Gilt dieser Tod nur für die Frommen? Oder anders gefragt: Ist es denk- und glaubbar, dass Gott das Kreuz auf sich nimmt, um dann trotzdem die grosse Mehrheit der Menschen zu verwerfen, weil sie nicht glauben? Die Hölle wäre um ein Tausendfaches grösser als der Himmel – können wir das im Ernst glauben wollen?

Die Hölle ist leer

Auf der anderen Seite: Können wir an eine Allversöhnung glauben im Angesicht des millionenfachen Mordes an den Juden im Zweiten Weltkrieg? Können wir als Christen annehmen, dass sogar Massenmörder wie Hitler in den Himmel kommen und nicht auf ewig in der Hölle schmoren? Die Tauglichkeit einer Theorie zeigt sich dann, wenn sie auch Extremfällen standhält, also zum Beispiel Hitler, Stalin und andere bluttriefende Tyrannen. Wohlgemerkt: Die Allversöhnung behauptet nicht, dass alle «einfach so» gerettet werden, denn das wäre nicht Gnade, sondern lediglich Gleichgültigkeit Gottes. Davon ist nicht die Rede, sondern davon, dass Gott in Christus am Kreuz endgültig gesiegt hat und es keinen Ort mehr gibt, über den er nicht herrschen würde. Mit anderen Worten: Es gibt eine Hölle, aber sie ist leer. Denn Gott bleibt bei seiner Liebe, auch wenn sie abgewiesen wird, und er bleibt beharrlich bei seinen Menschen, selbst wenn diese ebenso beharrlich Nein sagen. Er bleibt ihnen so verbunden, dass er sie am Ende der Zeit zu sich zurückführt und sie zu denen macht, als die er sie eigentlich gedacht hat. Hitler kommt also nicht «einfach so» in den Himmel, sondern erst, wenn er von all dem, was ihn von Gott trennt, gereinigt ist. Gott gibt ihn nicht auf, denn er ist und bleibt sein Vater, sondern er läutert ihn, bis er bestehen kann. Das mag schmerzhaft sein, und das mag sehr lange dauern – Gott kommt trotzdem an sein Ziel. Selbst im für uns unvorstellbaren Fall Hitlers.

Kritische Anfragen

Gegen die Allversöhnung wird häufig behauptet, dass sie zu moralischer Gleichgültigkeit führe, weil jeder unabhängig von seiner Lebensweise in den Himmel komme. Das trifft jedoch lediglich für Menschen zu, die nur aus Angst vor der Hölle gut leben und nicht, weil ein gutes Leben auch ein wahres Leben ist. Das Argument sticht nicht. Ebenso fraglich ist die Behauptung, Gott habe uns den freien Willen gegeben und respektiere unseren Entschluss für oder gegen ihn. Aber haben wir diese Wahlfreiheit wirklich? Sind wir immer frei in der Entscheidung, niemals gebunden in unserer sozialen Realität, in unserer Biographie, in unseren Phantasien und Lüsten? Und haben wir uns damals wirklich selbst für den Glauben entschieden, oder war es nicht eher der Geist Gottes, der dieses Ja in uns geschaffen hat? Ich glaube, dass die Vorstellung einer völligen Entscheidungsfreiheit eine Illusion ist – wir sind immer auf die Gnade Gottes angewiesen. Und schliesslich wird gefragt, wer wir denn seien, dass wir uns über das Wort Gottes in der Bibel stellen dürften. Aber wer sind wir denn, dass wir uns und unsere Vorstellungen von Gnade und Gerechtigkeit über Gott stellen? Ist es wirklich Gottes Wille, dass alle Sünder gnadenlos verloren sind? Es ist oft erschreckend, mit welcher eisernen Konsequenz ChristInnen die Ungläubigen in die Hölle wünschen.

Allversöhnung ist Freiheit

Allversöhnung im Sinne der Wiederbringung aller Menschen zu Gott würde Freiheit bedeuten: Freiheit in der Mission, weil sie frei von Angst vor Verdammung nicht mehr bekehrungsfixiert sein muss, sondern frei und gnädig vom grossen Ja Gottes für die Menschen reden kann. Das scheint mir überzeugender zu sein. Freiheit auch im Umgang mit dem eigenen Scheitern: Was in meinen Händen zerbrochen ist, ist mein Ende, nicht aber Sein Ende. Gerade auch dann, wenn ich durch mein Leben und Werken andere Menschen vom Evangelium abgehalten habe. Und Freiheit schliesslich auch in der grenzenlosen Hoffnung für die Millionen von Menschen, die nicht glauben, unter ihnen viele unserer besten Freunde, vielleicht sogar unsere Eltern, Geschwister, unsere eigenen Kinder. Hoffnung, dass ihr Nein immer im Licht des vorgängigen Ja Gottes steht. Und genau hierhin gehört die Allversöhnung: Sie ist Ausdruck frömmster Hoffnung und innigsten Gebets. Hoffen und beten, dass Christus das letzte Wort der Gnade spricht. Denn grössere Hoffnung kann niemand haben als die, dass Gott auch die ärgsten Sünder zu sich zurückzuführen vermag. Das wäre echte Feindesliebe.

*Christoph Schluep ist Pfarrer in Zürich 4

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Der obenstehende Artikel findet sich in der aktuellen Ausgabe Nr. 4/2005 der Zeitschrift kirche+welt unter der neuen Rubrik "kontrovers":

kontrovers - Aktuelle Themen, unbequeme Fragestellungen und interessante Diskussionspunkte sollen hier besprochen werden. Und nicht nur aus einer Sichtweise, sondern immer aus beiden. Ein Artikel pro – ein Artikel kontra!

Der obenstehende Artikel befürwortetet die Allversöhnung, in der nächsten Ausgabe erscheint ein kritischer Artikel zur Allversöhnung.

Gefällt Ihnen die Idee? Was halten Sie vom Artikel? Schreiben Sie uns einen Leserbrief, Ihre Meinung interessiert uns!
Adresse: Redaktion kirche+welt, Postfach 1344, 8026 Zürich, redaktion@kircheundwelt.ch
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Auch in der neusten Ausgabe 4/2005 von kirche+welt:

- Der Weltsgebetstag - nicht nur für Frauen
- Kind, was hast Du uns angetan? - Jesus als 12-jähriger im Tempel
- 10 Fragen von kirche+welt, 10 Antworten von Bischof Dr. Walter Klaiber

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