Gibt es mehrere Evangelien?

Auf jeden Fall doch vier, nämlich die vier Evangelien Matthäus, Markus, Lukas und Johannes, oder? So würden einige antworten. Dadurch ergibt sich eine weitere Frage: Was bedeutet eigentlich „Evangelium“? Der Begriff Evangelium stammt aus der griechischen Sprache (εὐαγγέλιον eu-angélion) und bedeutet „Lohn für das Überbringen einer guten Nachricht“ bzw. kurz „gute Nachricht“ oder konkreter „Siegesbotschaft“. In der römischen Kaiserzeit hießen Botschaften, die vom Kaiser ausgingen oder sich auf ihn bezogen, Evangelium (wikipedia).

Je nach Verkünder, Empfänger und Inhalt kann es also durchaus verschiedene Evangelien auch in der Bibel geben. In der Tat gibt es sie auch, zumindest dem Namen nach, was eine kurze Suche ergibt: Evangelium des Königreichs (Mt. 4,23; Mt. 9,35 u.a.), Evangelium Gottes (Rö. 1,1; Rö. 15,16; 1.Thess.2,8 ff u.a.), Evangelium Seines Sohnes (Rö. 1,9), Evangelium unseres Herrn (2.Thess. 1,8), Evangelium Jesu Christi (Mk. 1,1), Mein Evangelium (Paulus in Rö. 2,16; Rö. 16,25; 2.Tim. 2,8), Evangelium der Unbeschnittenheit (Gal. 2,7-9), Evangelium der Beschneidung (Gal. 2,7-9) und Äonisches Evangelium (Offb. 14,6). Auch im AT ist von Evangelien (im Hebräischen Freudenbotschaften, Bekanntmachungen) die Rede, z.B. Freudenbotschaft der Philister (1. Chroniken 10,9), die Kunde Davids (Ps. 40,8-10), Freudenbotschaft des Nahum (Nahum 2,1) und die frohe Botschaft Jesaias (Jes. 61,1f). Die Frage ist nur, ob und wie sie sich unterscheiden. Im Folgenden soll belegt werden, dass es im Wesentlichen zwei unterschiedliche Evangelien im Neuen Testament gibt, wenngleich auch mit der gleichen Basis, nämlich Christus – man könnte daher auch von zwei Ausprägungen eines Evangeliums sprechen.

Das Evangelium des Jesus auf der Erde

Geht es in den so genannten vier Evangelien nicht aber um die gleiche Botschaft, das gleiche Evangelium? Das stimmt, es wird auch das „Evangelium des Königreichs“ (Mt. 4,23; Mt. 9,35 u.a.) genannt. Jesus wurde von Gott zu seinem Volk Israel gesendet, um das irdische Königreich und die Eintrittsbedingungen zu verkünden. Dieses Königreich wurde von seinem Volk sehnsüchtig erwartet. In den sog. vier Evangelien wird also dieses eine Königreichsevangelium, aber unter vier verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet (Matthäus sah Jesus als König, Markus als Diener, Lukas als Mensch und Johannes als Gottes Sohn). Die Bibel spricht daher auch nicht von Evangelien, sondern nach Apg. 1,1 von „Berichten“ (griech. logos). So heißt es auch in einigen Bibeln etwas genauer, beispielsweise in der Lutherbibel: „Das Evangelium [des Königreichs] nach Matthäus“. Verkündet hat es Jesus nur den „verlorenen Schafen des Hauses Israels“ ( Mt. 15,24; Mk.1,14), um dem Volk des Bundes der Beschneidung zu dienen und die Verheißungen der Väter zu bestätigen (Rö. 15,8):

Mt.15,24: Er [Jesus] aber antwortete und sprach: Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel.

Der Jude Jesus hat also zu Juden gesprochen und zwar ausschließlich.

Basis war der „erste Bund“ (2. Mose 24,8, Hebr. 9,18-20), den Gott mit seinem auserwählten Volk Israel geschlossen hat. Es galt das Mose gegebene Gesetz zusammen mit vielen Ordnungen und Ritualen als Maßstab des Handelns. Dieser Bund basierte also auf Gerechtigkeit durch diese vorgeschriebenen Werke. Dafür wurde schon Abraham die Teilnahme am Königreich Gottes verheißen. Als Jesus auf die Erde kam, ging die Zeit der Gerechtigkeit allein durch Gesetz, als Geleiter zu ihm, zu Ende (Gal. 3,24; Lk.16,16). Nun sagte Jesus:

„Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater außer durch mich!“ (Joh. 14,6).

Dieser Weg, also Christus, wurde jedoch von seinem Volk nicht beschritten – insbesondere nicht von denen, die sich selbst als die einzigen Mittler zu Gott sahen und ihre Pfründe in Gefahr sahen, nämlich von dem jüdischen Klerus, den Pharisäern. Dem ihn abweisenden Teil des Volkes hielt Jesus vor: „Meine Lehre ist nicht von mir, sondern von dem, der mich gesandt hat. Wenn jemand dessen Willen tun will, wird er erkennen, ob die Lehre von Gott ist oder ob ich von mir selbst spreche.“ (Joh. 7,16f).

Geholfen hat das nicht. Israel, auch Braut Jehovas bzw. Jesu genannt (Jer. 2,2; Hes. 16, Offb. 21,9-14), hat aber mit der Kreuzigung diesen Ehebund gebrochen und ist damit untreu geworden (Jer. 31,31-32; Rö. 7,1-4, Mt. 23,37-39), wurde also – bildlich gesprochen – eine Hure (vgl. Jer. 2,20; Offb. 17,15).

In den Königreichsgleichnissen, die Jesus seinen Jüngern in Mt. 13 erzählte, verschlüsselte er daher für sie wesentliche zukünftige Entwicklungen (siehe Link).

Das Volk versteht also Jesus nicht und denkt nicht daran, sich zu ändern (Mt. 13,13, Apg. 13, 45-50).

Das Evangelium der Apostel

Nach der Kreuzigung nach Pfingsten erhielt Israel nochmals die Möglichkeit, das „neue“ Evangelium mit Christus als Mittelpunkt, anzunehmen. Der neue Verkünder war nun der Apostel Petrus, dem die Schlüssel zum Königreich der Himmel (um den himmlischen Ursprung des irdischen Reichs zu betonen), übergeben wurden (Mt. 16,19). Petrus verkündete dieser „Pfingstgemeinde“, dass nur der gekreuzigte Jesus Heil bringen kann (Apg. 4,10-12):

So sei euch allen und dem ganzen Volk Israel kund: Im Namen Jesu Christi, des Nazoräers, den ihr gekreuzigt habt, den Gott auferweckt hat aus den Toten – in diesem ⟨Namen⟩ steht dieser gesund vor euch. Das ist der Stein, der von euch, den Bauleuten, verachtet, der zum Eckstein geworden ist. Und es ist in keinem anderen das Heil; denn auch kein anderer Name unter dem Himmel ist den Menschen gegeben, in dem wir gerettet werden müssen.

An wen ging diese Botschaft, die auch Glaube, Umsinnung und Taufe forderte? Denn er dann erhielten sie das Geschenk des heiligen Geistes (Apg.2,38). Sie mussten auch anderen vorher vergeben haben, um selbst Vergebung erlangen zu können (Mt. 5,12). Jesus stellte gegenüber den Zwölfen zu den Empfängern dieses Evangeliums klar:

Diese zwölf sandte Jesus aus und befahl ihnen und sprach: Geht nicht auf einen Weg der Nationen, und geht nicht in eine Stadt der Samaritaner; geht aber vielmehr zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel! Wenn ihr aber hingeht, predigt und sprecht: Das Reich der Himmel ist nahe gekommen. (Mt. 10,6; Mt. 10,23; Apg. 10,42f).

Die 12 Apostel blieben mit diesem Evangelium also, genauso wie Jesus vorher, strikt in den Grenzen des Landes. Wer war übrigens nicht unter diesen 12 Aposteln? Der Apostel Paulus. Dieser hatte den Herrn als Einziger außerhalb des Landes kennengelernt und zwar nicht den irdischen Jesus, sondern als Christus nach seiner Kreuzigung, in einer überirdischen Herrlichkeit, die Paulus danach tagelang erblinden ließ. Israel lehnte jedoch den Sohn Gottes weiterhin ab. Ein Tiefpunkt ist die Steinigung des Diakons Stephanus (Apg. 7,59), der ihnen dies vorhielt. Abschließend heißt es in Apg. 28,24-29:

Und einige wurden überzeugt von dem, was gesagt wurde, andere aber glaubten nicht. Als sie aber unter sich uneins waren, gingen sie weg, als Paulus ein Wort sprach: Trefflich hat der Heilige Geist durch Jesaja, den Propheten, zu euren Vätern geredet und gesagt: »Geh hin zu diesem Volk und sprich: Hörend werdet ihr hören und nicht verstehen, und sehend werdet ihr sehen und nicht wahrnehmen. Denn das Herz dieses Volkes ist dick geworden, und mit den Ohren haben sie schwer gehört, und ihre Augen haben sie geschlossen, damit sie nicht etwa mit den Augen sehen und mit den Ohren hören und mit dem Herzen verstehen und sich bekehren und ich sie heile.« So sei euch nun kund, dass dieses Heil Gottes den Nationen gesandt ist; sie werden auch hören.

Letztlich war aber auch das Gottes Werk, denn „Gott gibt ihnen [also Israel] einen Geist der Betäubung, Augen die nicht erblicken…“ (Rö. 11,8). Nach Lk. 21,24 wird das Volk Israel in alle Welt zerstreut (Diaspora) und Jerusalem „zertreten“ (Zerstörung 70 n. Chr.) und zwar bis sich die Zeiten der Nationen erfüllt haben (Rö. 11,25). Die Verheißungen an Israel (ein Segen für die Völker der Erde zu sein, also das irdische Königreich) blieben jedoch bestehen (Rö. 11,1f).

Diese Phase kann als eine des Übergangs betrachtet werden. Dies ist besonders bei dem Apostel Paulus zu erkennen, der anfangs ähnliche Inhalte wie die übrigen Apostel verkündete (wie in der jüdischen Gemeinde in Antiochien: Apg. 11,26). Dann jedoch wurde er abgesondert (Apg. 13,2), um sich an Auslandsjuden und auch an Nichtjuden (Nationen)  zu wenden – an die aus den Nationen aber so, wie es Israel in dem irdischen Königreich machen wird (Apg. 17,30: Aufruf zur Umsinnung, Apg. 19,5: Wassertaufe u.ä.). Nachdem durch die endgültige Ablehnung durch das Volk Israel feststand, dass das Königreich nicht bald anbrechen wird, wendet sich Paulus nur den Nationen zu mit einem sehr eigenständig ausgeprägten Evangelium, das es so noch nicht gab:

Das Evangelium des Apostels Paulus

Ein zentrales Ereignis, um diesen Wechsel zu verstehen, ist das Apostelkonzil um 48 n.Chr. in Jerusalem nach Apg. 15 und Gal. 2,7-9:

Als sie [die 12 Apostel] sahen, dass mir [Paulus] das Evangelium für die [wörtlich der] Unbeschnittenheit anvertraut war ebenso wie Petrus das für die [wörtlich der] Beschneidung – denn der, der in Petrus zum Apostelamt für die [wörtlich der] Beschneidung wirksam war, war auch in mir für die Nationen wirksam –,und als sie die Gnade erkannten, die mir gegeben worden ist, gaben Jakobus und Kephas und Johannes, die als Säulen angesehen werden, mir und Barnabas den Handschlag der Gemeinschaft, damit wir unter die Nationen ⟨gingen⟩, sie aber unter die Beschnittenen.

Nachdem Paulus 14 Jahre nichts mit den restlichen Aposteln zu tun hatte (Gal. 2,1), besucht er nun die Zwölf, um das Evangelium vorzustellen, das er unter den Nichtjuden verkündete bzw. verkünden sollte. Wären es die gleichen Inhalte gewesen, wäre ein Besuch wohl kaum erforderlich gewesen. Hat sich Paulus etwa in der Abgeschiedenheit etwas Eigenes ausgedacht, auf Basis des Vorhandenen? Nein, dieses Evangelium wurde ihm nicht von anderen Menschen überliefert, sondern er erhielt es direkt durch eine Offenbarung Christi (Gal. 1,11f; Apg. 26,17f; Eph. 3,1-7; 1. Kor. 2,13). Es ging bei dem Aposteltreffen also keinesfalls darum, organisatorisch festzulegen, wer von den 13 Aposteln ein gleiches Evangelium in welchen Regionen der Welt verkündet, was manchmal behauptet wird. Wenn das Ergebnis gewesen wäre, dass 12 Apostel das kleine Volk Israel, also die Beschneidung, bereisen und nur ein Apostel den Rest der Welt (Unbeschnittenheit), könnte man wohl von einem deutlichen Missmanagement sprechen. Nein, alles spricht dafür und klarer kann es in der Bibel auch kaum ausgedrückt werden: Mit dem Aposteltreffen wurde eine inhaltliche Unterscheidung getroffen.

Paulus wurde ein Geheimnis enthüllt, d.h. vorher waren diese Inhalte und der neue Empfängerkreis völlig unbekannt (Eph. 3,3), die Paulus gewährten Enthüllungen wurden als „außerordentlich“ bezeichnet (2. Kor. 12,7). Dafür wurde Paulus schon seit seiner Geburt abgesondert (Gal. 1,15). Es war seine Bestimmung, zu den Nationen zu gehen (Apg. 22,11-21). Er ist Herold und Lehrer der Nationen (2.Tim.1, 9-11; Kol. 1,23; Ti. 1,1-3). Deshalb spricht Paulus auch völlig zu Recht von „meinem“ Evangelium (Rö. 2,16; Rö. 16,25; 2. Tim. 2,8), weil es so sehr mit ihm als Verkünder verknüpft ist. Der Apostel Paulus fordert uns auf, seine Nachahmer zu werden (1. Kor. 11,1; 1. Kor. 4,16; 1. Thess. 1,6; Phil. 3,17, Phil. 4,9) – die richtigere Frage heutzutage wäre also „What would Paulus do?“.

Warum hören wir in den Kirchen trotzdem so selten von diesem, für uns bestimmten Evangelium?

Es ist auch nicht so, dass das Evangelium des Paulus ein Lückenfüller ist, weil Israel nicht wollte. Nein, die herausgerufene Gemeinde wurde sogar schon vor Grundlegung der Welt auserwählt (Eph. 1,4; 2. Thess. 2,13), also vor allen Zeiten (2. Tim. 1,9). Dieses Evangelium, das heute gilt, hat also einen eigenen Namen: „Evangelium der Unbeschnittenheit“. Es steht in klarem Kontrast zu dem „Evangelium der Beschneidung“ (Gal. 2,7-9). Welche Unterschiede gibt es konkret?

Inhalte des Evangeliums für heute

Nach dem dargestellten speziellen Auftrag an Paulus begann Gott mit der Berufung der Mitglieder der herausgerufenen Gemeinde.

Dem Apostel Paulus wurde die „Verwaltung der Gnade“ übergeben, die ihm für uns gegeben wurde – vorher war diese unbekannt, ein Geheimnis (Eph.3,2-3). Ihm wurde geoffenbart, dass das Gesetz nur ein Geleiter zur Gnade ist (Rö.5,20f), weil es zur Erkenntnis der eigenen Fehlbarkeit führt (Rö. 3,20-22). Das Gesetz gilt uns daher nicht mehr (Rö. 2,14; Rö. 6,14; Gal. 2,15f; Gal. 5,6). Paulus spricht daher nie von Priestertum und Tempeldiensten, hat nur in der Übergangszeit selbst getauft und lehrte auch sonst keine Rituale mehr. Rechtfertigung allein aus Glauben ohne Werke (Rö.3,24,Rö.3,28; Rö. 5,9) ist eine völlig neue Botschaft, die vorher unbekannt war. Mit Werken sind dabei auch alle Rituale gemeint, die eine falsche Sicherheit geben können: Taufe, Kirchgang, Konfirmation, Buße tun und andere.

Die jüdischen Gläubigen hatten dagegen das Gesetz in Auswirkung ihres Glaubens zu halten (Rö.9,4; Apg.21,20; Jak.2,8-11; Jak.4,11).

Die Aufgabe der herausgerufenen Gemeinde ist vor allem, Gott den Geschöpfen des Überhimmels wie auch den Mitmenschen bekannt zu machen, jetzt (Eph. 3,10) und „in den herankommenden Äonen den alles übersteigenden Reichtum Seiner Gnade“ (Eph. 2,5-7). So fragt Paulus: „Wisst ihr nicht, dass wir Boten [traditionell übersetzt mit Engel] richten [zurechtbringen] werden?“ (1.Kor. 6,3). Da die Gemeinde den Körper Christi darstellt, ist davon auszugehen, dass diese auch bei den Gerichten dabei ist, die von Christus noch durchgeführt werden, wie vor dem großen, weißen Thron (Offb. 20,11).

Paulus formuliert daher in Phil. 3,20, dass unser Bürgertum in den Himmeln ist. Dort liegen unsere Bürgerrechte und -pflichten, nicht im Irdischen, wie für Israel (siehe auch Phil. 3,29; Kol. 3,1f).

Bürger des Himmels kann unabhängig von seiner leiblichen Abstammung jeder werden (Gal. 3,28). Fleischliche Vorzüge, noch wichtig im Evangelium der Beschneidung, sind nicht mehr relevant. Voraussetzung ist allein die Berufung/Auswahl durch Gott (Rö. 8,30).

Paulus verkündet, dass wir in Christus sind (wie in Rö. 8,1), ja die Gemeinde bildet sogar den Körper (Leib) Christi mit all seinen Gliedern (Kol. 1,18; Kol. 1,24). Somit vervollständigen wir sogar Christus (Eph. 1,22-23). Christus selbst ist dabei das Haupt (Eph. 1,22). Das ist im Evangelium der Beschneidung völlig unbekannt. Da die Gemeinde der Körper Christi ist, kann sie nicht gleichzeitig auch noch die Braut sein. Die femininen Namen wie Witwe, Hure, Weib und Braut, werden deswegen in der Bibel konsequent, je nach Stand und Verhältnis, auf das Volk Israel angewandt (Jes. 54,6; Klagelieder 1,1f; Offb. 19,7; Offb. 21,9, uva.).

Nur dem Apostel Paulus wurde auch das Geheimnis der Allaussöhnung vollständig enthüllt. Er wusste, dass dann gesagt werden kann „Alles hat sich Christus untergeordnet“ (1. Kor. 15,25-28, siehe auch Kol. 1,15-17, Eph.1,9-23, Phil. 3,21), „damit in dem Namen Jesu sich jedes Knie beuge“ und jede Zunge huldige: „Herr ist Jesus Christus, zur Verherrlichung Gottes, des Vaters“ (Phil. 2,11, Jes. 45,23-24).

Die Erwartung der herausgerufenen Gemeinde

Die Gläubigen aus den Nationen werden nach der Auferstehung in einem Nu verwandelt (1. Kor. 15,51-52) und vollendet – sie treffen Christus dabei „in der Luft“ (1. Thess. 4,16). Dies ist der Tag Christi (Phil. 1,6, 1. Kor. 1,8 u.a.).

Die herausgerufene Gemeinde hat also eine „frühe Erwartung“ in Christus (Eph.1,12), denn sie wird vor den Gerichten am Tag des Herrn gerettet (1. Thess. 1,10, Rö. 5,9). Der Tag Christi wird vor der sog. Endzeit und vor dem Tag des Herrn stattfinden, die mit Gerichten für Israel verbunden ist. Dies geschieht erst, wenn die Gemeinde (der Leib Christi, die Ekklesia) nicht mehr da ist (Video dazu, Text siehe auch hier):

Auch dieser Vorgang der exklusiven Auferstehung für die Gläubigen aus den Nationen und deren Verwandlung ist ein Geheimnis, das vorher unbekannt war und nur Paulus geoffenbart wurde. Dagegen wird die Auferstehung zum Gericht für Israel stattfinden, wenn Jesus in Macht und Herrlichkeit auf dem Ölberg kommt:

Die Erwartung Israels

Während die Gläubigen der Jetztzeit vor den Endzeitgerichten Gottes hinweggenommen werden, muss das Volk Israel diese „Endzeit“, die sog. „Drangsal“ (Mt. 24,9; siehe Tabelle) durchleiden. Es ist eigentlich nur noch eine kleine Schar, eine „Auswahl aus Israel“ (Rö. 11,7), die Gott in diesem schweren Zeiten die Treue halten wird, „denn nicht alle, die aus Israel, diese sind Israel“ (Rö. 9,6) und somit die Verheißung des äonischen Lebens erhalten, „auf das jeder, der an Ihn glaubt, nicht umkomme, sondern äonisches Leben habe“ (Joh. 3,18). Das äonische Leben (oft etwas missverständlich mit „ewig“ übersetzt) beginnt nach der „späteren Erwartung“, der Auferstehung (Joh. 6,40;6,54) aller Israeliten, denn „viele so unter der Erde schlafen, werden aufwachen: etliche zum äonischen Leben, etliche aber zu äonischer Schmach und Schande“ (Dan. 12,2). Jesus Christus wird dazu als König auf den Ölberg kommen (Sach. 14,4-9, Mt. 5,35).

Gott schließt nun einen „Neuen Bund“ mit Israel. Dieser wird wieder ausschließlich mit dem Haus Israel und Juda geschlossen, was beispielsweise Hebr. 8,8 und Jer. 31 deutlich aussagen. Nun findet also das ersehnte „äonische Leben“ statt („im kommenden Äon äonisches Leben“, Mrk. 10:30); dort werden sie „Priester Gottes und des Christus sein und werden herrschen mit Ihm tausend Jahre“ (Offb. 20,6, 1.Petr. 2,9). Der persönliche Glaubensbeginn eines messianischen Juden ist eine Wiedergeburt (1. Petrus 1,3), denn der Alte Bund wird wiederbelebt. Bei den Nationen ist dagegen von einer „Neuschöpfung“ (2. Kor. 5,17) die Rede, denn sie haben keinen Bezug auf ältere Verheißungen. Israel wird sich an die Nationen wenden und sie missionieren (Mt. 28, 18-20).

Es wird dazu das Reich aufgebaut werden, das Jesus und die Propheten angekündigt hatten. Beispielsweise in Jesaja 2,2-4, wo es heißt, dass alle Nationen nach Israel strömen werden und Jehova zwischen den Nationen Recht sprechen wird. Die Nationen werden ihre Schwerter zu Pflugscharen schmieden und ihre Speere zu Winzermessern. Es wird außerdem keine Kriege mehr geben:

„Und es wird geschehen am Ende der Tage, da wird der Berg des Hauses Jehovas feststehen auf dem Gipfel der Berge und erhaben sein über die Hügel und alle Nationen werden zu ihm strömen. Und viele Völker werden hingehen und sagen: Kommt und lasst uns hinaufziehen zum Berge Jehovas, zum Hause des Gottes Jakobs! Und er wird uns belehren aus seinen Wegen, und wir wollen wandeln in seinen Pfaden. Denn von Zion wird das Gesetz ausgehen, und das Wort Jehovas von Jerusalem; und er wird richten zwischen den Nationen und Recht sprechen vielen Völkern. Und sie werden ihre Schwerter zu Pflugmessern schmieden und ihre Speere zu Winzermessern; nicht wird Nation wider Nation das Schwert erheben und sie werden den Krieg nicht mehr lernen.“

Leicht ist zu erkennen, dass dies noch nicht eingetreten ist (siehe auch Ps. 2,7-9; 110,2-4, Jes. 11,1-9; 24,23; 25,6-8; 33,17-24, Dan. 7,13-14, Sach. 8,13; 14,9-17; Offb. 20 ua.). Israel wird nun endlich Gott erkennen können (Sach. 12,10, Offb. 1,7, 2.Kor.3,14-15). Israel herrscht dann also und wird die übrigen Nationen missionieren (Offb. 21,12-26). Viele Menschen auf dieser dann auch neuen Erde werden zum Glauben kommen können.

Im Jerusalem der Neuen Erde in Offb. 21,12 werden übrigens in den 12 Toren und 12 Grundfesten (Offb. 21,14) nur die 12 Apostel genannt, nicht aber der Nationenapostel Paulus. Damit haben wir also nichts zu tun.

Gemeinsames

Wichtigste gemeinsame Basis ist Christus – der in beiden Evangelien wirkt (Gal.2,8) – sein Tod und seine Auferstehung (1. Kor. 3,11). Nur durch Ihn als Mittler kann die Menschheit erlöst werden. Gott, unser Vater, hat Menschen und sein Volk erwählt, um alle zu segnen. Die Evangelien beider Heilskörperschaften können daher als besondere Ausprägung verstanden werden, entsprechend ihrer Aufgaben.

Beide Heilskörperschaften sind von Gott erwählt worden. Paulus wurde erwählt (Gal. 1,15), obwohl er ehemals die Gemeinde bis aufs Blut verfolgt hat und er sich selbst sogar als geringsten der Apostel ansah (1. Kor. 15,9). Die Glieder am Leib Christi werden ebenfalls von Gott ausgewählt, zuallererst, vor allen Zeiten (2. Tim. 1,9, Eph. 1,4). Israel wurde danach, nach Grundlegung der Erde (Offb. 13,8; 17,8) von allen Völkern ausgewählt, obwohl es das geringste unter allen Völkern ist (5. Mose 7,6-8), um die Verheißungen an Abraham auszuführen „alle Nationen auf Erden zu segnen“ (1. Mose 12,3). Innerhalb des Volkes findet noch eine weitere Auswahl statt (Rö. 11,7).

Beide Heilskörperschaften haben die Aufgabe, in ihrem Wirkungsbereich Gott bekannt zu machen. Gottes Schöpfung wird in der Bibel in zwei Bereiche geteilt („in den Himmeln und auf der Erde, das Sichtbare und das Unsichtbare“, Kol. 1,16; Phil. 2,10). Entsprechend wurden auch zwei Gruppen von Menschen ausgewählt, um deren Bewohner Gott nahe zu bringen. Beide Aufgaben werden während des „äonischen Lebens“ (1.Tim.6,12) ausgeführt, wenn auf der Erde das 1000-jährige Reich stattfindet, bzw. es zu einer Neuen Erde und Neuen Himmel kommt. Gott führt also vom Besonderen zum Allgemeinen und letztlich zum Heil aller Menschen aus Juden und Nationen [51, S.127].

Der Glaube ist in beiden Fällen ein Geschenk Gottes, eine Gnadengabe (Israel: 2. Petrus 1,1ff; Leib Christi: Eph. 2,5+8). Die restlichen Gnadengaben sind im Fall Israels eher irdisch, im Fall des Evangeliums der Unbeschnittenheit eher himmlisch.

Man kann also sagen: Wenn der Leib Christi mit der Vervollständigung der Gläubigen aus den Nationen vollendet ist und das Volk Israel als Braut zurecht gebracht wurde, kann erst die Hochzeit stattfinden (Offb. 19,6f, Hohelied, Jes.62,3ff; Hos.2,16; Hos. 2,21f; vgl. Rö.7,1ff): Das 1000-jährige Friedensreich, in dem für beide Heilskörperschaften das unterschiedlich ausgeprägte äonische Leben stattfindet. Für die Braut, das Volk Israel, bleibt das Gesetz ein wichtiges Element und wird es zur Missionierung der Völker im Tausendjahrreich als Mittel wieder sein. Das Königreich wird die Krönung der Gesetzeslinie sein (vgl.: der gute Wein kam zuletzt; Joh. 2). Letztlich gilt aber das, was Paulus geoffenbart wurde, nämlich dass das Gesetz nur ein Wegweiser zur Gnade ist (Rö.5,20f), weil es zur Erkenntnis der eigenen Fehlbarkeit führt (Rö. 3,20-22). Nach dieser Hochzeit kann die Aussöhnung Gottes mit allen Menschen am Ende der Zeiten stattfinden (1. Kor. 15,28). Beide Evangelien sind dann zum Ende gekommen.

Übersicht

 

Die wichtigsten Unterschiede werden in der folgenden Tabelle dargestellt:

Gläubige aus Israel (Beschneidung)Gläubige aus den Nationen (Nichtbeschneidung)
LehrerJesus und dann Petrus verkünden Evangelium der BeschneidungMt. 15,24, Gal. 2,7Paulus verkündet Nationen das Evangelium der Nichtbeschneidung;
Paulus vervollständigt das Wort
Eph.3,2-3, 7-9 ; 1.Tim. 1,11, 2,7,
Rö. 15,15f, Gal. 1,1
Titus 1,3 Kol. 1,25
Gesetz Von Gott gegeben und Er bewirkt in den Gläubigen, dass es gehalten werden kann.Hes. 36,27
Mt. 19,16
1.Petr. 4,18
Nicht unter Gesetz, sondern unter Gnade.Röm. 2,14; 6,14, 10,4
Verheißungen und Aufgaben im äonischen Leben (während der kommenden beiden Äonen)Irdische Erwartung

Verheißungen an Abraham werden sich an Israel erfüllen


Königreich auf Erden wird wiederhergestellt.

Erleben 1000-jähriges Reich (nächster Äon) auf der jetzigen Erde und das Neue Jerusalem auf der neuen Erde (letzter Äon)


Nationen werden durch die Gläubigen aus Israel gesegnet.
Verkündung Gottes den Nationen auf der Erde:
Durchführung des Missionsbefehls
1.Mose 12,3; 49,10

2.Mose 19,5-6; 33,16-17;
4.Mose 23,9,

Jes.2,2 ff., 49,22f, 61,5-6;

2.Sam.7,12, 27
1.Chr.17,21:
Apg.1,6-7;
Röm.9,3-6; Off. 20,4-6; Off. 21




1.Petr.2,9
Off.2,26f, 20,6






Matt. 28,19
Himmlische Erwartung

Königreich in den Himmeln

Entrückung in die Himmel



Verkündung Gottes den Gewalten des Himmels
Phil.3,20-21;
Eph.1,3; 2,6+19
Kol.1,5+13


2.Tim. 4,18
1.Thess 4,17
Phil.3,20

Eph. 2,5-7, 3,10-12; 1.Kor. 6,2+3
GlaubensbeginnWiedergeburt durch Christus (Wiederbelebung des alten Bundes)Mt.19,28
1.Petrus 1,3,
Röm. 15,8
Neuschöpfung in Christus (kein Bezug auf ältere Verheißungen)2. Kor. 5,17
TaufeMit Wasser und GeistApg. 1,5; 2,38; 8,12-17
Nur mit Geist;
Wassertaufe überflüssig
1.Kor. 12,13 1,17;
Eph.4,5
Die große DrangsalSie muss durchlebt werden, auch mit Verlusten. Israel erwartet den Retter erst nach der Drangsal.Mt.24,9; 29-31;
Luk. 21,36;
Off. 6,10f; 13,6
Gemeinde wird vor dem Zorn gerettet.Rö. 5,9;
1.Thess. 1,10; 5,9
Symbol für die Beziehung zu Gottes Sohn während des zukünftigen äonischen LebensBraut des Lammes (Jesu): Nach der Zeit der Scheidung gibt es eine Wieder-vereinigung (Heirat)Joh.3,29
Off. 19,7-8; 21,9-14
Körper des Christi: Jesus Christus ist der Kopf, die Gläubigen die GliederRöm.12,4f
1. Kor. 12,12
Eph.1,22ff.

Quelle: Auszug aus der Tabelle von J. Winteler (pdf, ab S.71).

Konsequenzen

Ein neues Bibelverständnis: „Schriftteilung“

Während das oben Gesagte, zumindest grundsätzlich, allgemein bekannt ist (s. wikipedia), gibt es in der Praxis große Unsicherheit in der Anwendung. Rechtfertigung nur aus Glauben? Klar, aber die Wassertaufe ist natürlich trotzdem erforderlich, sagen einige. So vermischt man aber das nur Paulus geoffenbarten Evangelium, mit der „alten“ nur Israel geltenden Botschaft. Paulus verurteilt das scharf („…in den Bann getan sei er“, Gal. 1,9). Leider ist die Aufforderung zur empfängergerechten Aufteilung schon bald nach Paulus verschüttet worden. Statt des uns angehenden Evangeliums werden oft leicht verständliche Geschichten des Alten Testaments und des Jesus von Nazareth recht willkürlich auf die heutige Zeit übertragen, obwohl sich die Botschaft Gottes (und damit Seine Anweisungen) verändert hat.

Nach dem Erkennen der unterschiedlichen Zielgruppen werden auch andere Eigenheiten der Paulusbriefe erklärlich. Jesu Lehren auf der Erde sind bei Paulus nicht mehr Gegenstand seiner Betrachtung, da sie ja nur der Auswahl aus Israel gelten (Mt. 15,24; 10,5). Der Bochumer Neutestamentler Klaus Wengst bringt es auf den Punkt: „Wenn wir dem Jesus der Evangelien begegnen, begegnen wir einem Juden, der nicht isoliert von seinem Volk gelebt hat, sondern mitten in ihm und mit ihm. Wenn wir ihm begegnen, begegnen wir also Jüdischem und nur Jüdischem.“ Die Worte Jesu kommen daher in den Paulusbriefen überaus selten vor (1. Kor. 7,10; 9,14; 11,24; 1.Thess. 4,15). Bezeichnenderweise benutzt Paulus auch den Namen des irdischen Jesus äußerst selten (nur 15mal), stattdessen verwendet er vor allem (378mal) den Titel des erhöhten „Gesalbten“: Christus, der ihm ein bis dahin unbekanntes Evangelium enthüllte (Eph. 3,2f; Gal. 1,11f), mit dem gekreuzigten Jesu und auferstandenen Christus als Mittelpunkt!

Werden diese Unterschiede vernachlässigt, kann die Bibel kaum recht verstanden werden. Wichtig ist zu erkennen: Das Ziel der Gemeinde ist die Entrückung in den Himmel, das Ziel Israels ist das Herrschen auf der Erde.

Als der Herr Jesus beispielsweise mit seinen Jüngern über die Zukunft sprach, war deren heilsgeschichtliches Denken und Endzeiterwartung vom Alten Testament her geprägt. Sie waren Juden und erwarteten das sichtbare Reich Gottes auf der Erde. Wenn die Jünger daher fragten „Was ist das Zeichen deiner Ankunft und der Vollendung des Zeitalters“ (Mt. 24,3), meinten sie damit natürlich nicht die Entrückung, sondern das Kommen Jesu zum Aufrichten seines Reichs auf dieser Erde.

In Mt. 25,31 wird das Gericht Christi beschrieben, das nach seinem Kommen in Macht und Herrlichkeit auf der Erde stattfinden wird. Der Herr wird ganze Nationen dabei wie die Schafe von den Böcken trennen. Manche vertreten dagegen die Ansicht, die Gläubigen unserer Zeit seien die Schafe zur Rechten Jesu. Man muss hier jedoch beachten, worum es bei dem in dieser Stelle beschriebenen Gericht geht. Das Gericht geschieht zu Beginn des 1000-jährigen Reiches. Es betrifft die Frage, wie sich jede Nation verhalten hat und welches Gericht sie ggf. trifft. Es geht also nicht um einzelne Menschen und deren Sünden – und um die Gemeinde schon gar nicht. Denn die Gemeinde wurde ja schon entrückt, heilsgeschichtlich geht es auch gar nicht um den Eingang ins irdische Reich Gottes, sondern um den Eingang ins himmlische Vaterhaus (Phil. 3,20). Sie können daher hier keinesfalls gemeint sein.

Eine Völkermission, wie es Israel im Millennium aufgetragen und verheißen ist (Mt.28,19), ist nicht unser Auftrag. Gott nutzt zwar Anstrengungen in dieser Richtung trotzdem, aber es werden nur Einzelne erreicht und zum Glauben gebracht. Erfolg im großen Stil, wie es Israel im Millennium verheißen ist, wird nicht eintreten. Wird dies missverstanden, können bei dem momentanen Missionsleerlauf wegen der Erfolglosigkeit leicht Glaubenszweifel aufkommen – und das nur, weil nicht beachtet wird, wer die Empfänger des sog. Missionsbefehls sind. Natürlich erzählen wir aber auch jetzt schon unserem Nächsten von dem Evangelium (2. Kor. 5,20) und leben es ihm vor.

Diese Besonderheiten des Evangeliums für die Unbeschnittenheit finden sich ausschließlich in den Briefen des Apostel Paulus. Auch innerhalb dieser Briefen ist aber eine Entwicklung zu erkennen [Winteler, S.86f]: Zu den Vorbereitungsbriefen zählen Römer, 1. und 2. Korinther und der Brief an die Galater. Die Vollkommenheitsbriefe, die besonders in die Aufgaben und das  Erwartungsgut der Gemeinde einführen, sind die an die Epheser, Philipper und Kolosser. In den Briefen des Apostel Paulus ist nie etwas von den Begriffen die Rede, die im Evangelium der Beschneidung wichtig sind, wie Neue Himmel und neue Erde, das 1000-jährige Reich, Königreich der Himmel usw. Gläubige werden bei Paulus auch nie als Schafe bezeichnet. Die Unterschiede sind eklatant:

Ein entsprechendes Gemeindeleben

Manche Gebräuche in Kirchen und Gemeinden rühren daher, dass man Aussagen für Israel auf die Gemeinde (Nationen) anwendet. Es folgen einige Beispiele dazu, welche Auswirkungen die fehlende Unterscheidung zwischen Israel und der Gemeinde auf die Kirche gehabt haben [51, S.45]:

  • Der Schlusssegen in der kirchlichen und zum Teil auch freikirchlichen Liturgie stammt aus dem Segensspruch des Hohepriesters über Israel (4.Mose 6,24-26). Heute sind Priester als Mittler des Segens nicht mehr erforderlich (Eph. 1,3); allein Christus ist Mittler (1. Tim. 2,5).
  • Die Unterscheidung in Geistliche und Laien, die Existenz einer besonderen Klasse von kirchlichen Würdenträgern, sowie die kirchliche Hierarchie beruhen auf der im Gesetz geregelten Stellung der Priesterschaft bzw. Hohepriester Israels. Heute sind alle Gläubigen in Christus in der gleichen Stellung vor Gott, obgleich es verschiedene Aufgaben gibt (Eph. 4,11f). Nationen sind zudem nicht mehr unter Gesetz.
  • Die besonderen Gewänder der Priester und Pfarrer haben ihren Ursprung darin, dass die Priester in Israel bei ihrem Dienst im Tempel besondere Gewänder tragen mussten.
  • Wenn durch die kirchliche Kindertaufe der biologische Nachwuchs in die Kirche eingegliedert wird, ist dies die analoge Handlung zur alttestamentlichen Beschneidung, durch die für die männlichen Israeliten ihre Zugehörigkeit zum damaligen Volk Gottes fest gemacht wurde. Heute ist die Wassertaufe als Vorschattung abgeschafft, es wird bei dem Glaubensbeginn nur noch in Christus getauft.
  • Die Errichtung prächtiger Kathedralen nach dem Vorbild des Tempels in Jerusalem. Dennoch ist positiv, wenn in vielen deutschen Dörfern ein Kirchturm im Mittelpunkt steht und nach oben zeigt. Prunk und Protz ist Christus allerdings sehr fremd.
  • Das  „Vater unser“ ist ein Gebet für Israel, nicht für uns, die Nationen (siehe hier, S.74-79). Dennoch gehört es in unseren Kirchen zum Gottesdienstritual und wird gedankenlos nachgesprochen.
  • Um jetzt schon ein irdisches Königreich aufzubauen („kingdom theology“), versuchen bestimmte Bewegungen, Einfluss auf die Gesellschaft zu nehmen. Lebensregeln, die sie als „christlich“ ansehen (zu den Themen Abtreibung, Sexualmoral usw.) sollen die staatliche Gesetzgebung bestimmen und so allen Menschen aufgezwungen werden (Dominionismus, Religiöse Rechte, Rekonstruktionismus, Christlicher Nationalismus).

Selbst ins Liedgut kann dieses falsche Verständnis hineinwirken:

  • „Von ganzem Herzen will ich dir danken, vor allen Menschen singe ich dir. Vor deinem Tempel will ich anbeten. Ich will dich preisen, gütiger Herr“ (Text: Lothar Gassmann nach Ps. 138).
  • „Ich will einzieh’n in sein Tor mit dem Herzen voller Dank; ich will treten in den Vorhof mit Preis! Denn ich weiß, dies ist der Tag, den der Herr gemacht: ich will mich freu’n, er hat mich froh gemacht“ (Text: engl. Original: Leoana von Brethorst, deutsch: Gitta Leuschner).

Beide Lieder bringen die Freude der gläubigen Juden aus der Zeit des Alten Testaments zum Ausdruck, wenn sie zum Tempel gingen und dort Gott lobten. Gegenüber den Erlösten aus der jetzigen Zeit hatten sie jedoch einen entscheidenden Nachteil: Mit Ausnahme der Priester dürfen die Juden nicht ins Heiligtum hineingehen. Während sie also nur „in den Vorhof“ treten und „vor deinem Tempel“ anbeten konnten, haben die Erlösten aus den Nationen heute ein gewaltiges Vorrecht: Sie dürfen unmittelbar zum himmlischen Vater durch Jesus Christus kommen. Ihr eigener Körper ist der Tempel des Heiligen Geistes (1. Kor. 3,16) – besondere Gebäude sind nicht mehr erforderlich.

Vielfach ist auch von Jesus als König die Rede und vom Aufbauen des „Reichs“. Momentan ist aber Christus nicht unser König, sondern Christen leben jetzt in einem sehr viel persönlicheren Verhältnis zu Christus, Christen sind „in Christus“ (Rö. 8,1). Er ist unser Haupt (Eph. 1,22), aber nicht unser König! Jesus wird erst wieder im Millennium König sein (Offb. 21,6). Christen bauen auch nicht an einem irdischen Reich, wie es nach wie vor den gläubigen Juden verheißen ist, sondern sie haben eine himmlische Erwartung (s.o.).

Ethelbert Bullinger schrieb dazu: Wichtig ist zu erkennen, dass „Paulus die kostbaren Lehren festhielt, die bisher verborgen waren und nicht bekannt gegeben werden konnten, bevor Christi Leiden, Sterben, Auferstehung und Himmelfahrt tatsächlich stattgefunden hatten; denn sie haben all dies zur Voraussetzung. Diese Lehren finden sich ausschließlich in den Briefen aus der Gefangenschaft (Epheser, Philipper und Kolosser) und hierher gehören auch die Briefe an Timotheus, Titus und Philemon“ (S. 12). Er hofft, dass man geheilt wird „von einer unbewussten und biblischen Kleptomanie, durch die alle Segensverheißungen von Israel genommen und der Gemeinde zugesprochen wurden“ (S. 93). Dennoch sollten wir uns in der gesamten Schrift auskennen, denn sie ist „nützlich zur Lehre und zur Zurechtweisung“ (2. Tim. 3,16), weil sie uns Gott näherbringt, auch wenn nicht alle Anweisungen uns gelten.

Aber viele Missverständnisse werden also vermieden, wenn unterschieden wird, welche Heilskörperschaft gerade angesprochen wird.

Auswirkungen im persönlichen Glaubensleben

In dem eigenen Glaubensleben bewirkt ein Beachten des Evangeliums das uns gilt, Konzentration auf das Wesentliche (Phil. 1,10). Routinierte Gottesdienstliturgie? Konfirmation, um der Geschenke willen? Rituale und angestaubte Gewohnheiten wie Taufe, Talar und Kanzel? All dies ist in dem uns angehenden Evangelium nicht relevant. Alle Gläubigen sind gleichberechtigte Glieder am Leib Christi. Jeder ist für sich selbst dem Haupt Christus gegenüber verpflichtet. Das erfordert eine neue Selbstständigkeit im Glauben. Ein Pastor ist nicht verantwortlich für den eigenen Erkenntnisgewinn im Wort, sondern jeder sollte für sich alles prüfen, um das Beste zu behalten (1. Thess. 5,21), also verschiedene Auslegungen. Natürlich können aber Glieder der Gemeinde, die sich als Lehrer eigenen, unterstützen. Man sollte sich immer wieder vor Augen halten: Der Herr teilt sich in seinem Wort mit. Wer sein Wort aufnimmt, nimmt ihn auf. Gesunde Christuserkenntnis ist geknüpft an die gesunden Worte des Herrn. Dadurch ergibt sich ein gesundes Wachstum der Glieder am Leib Christi. Jedes Glied am Leib Christi hat eine Gabe, es ist berufen zum Werk des Dienstes für die Auferbauung des Leibes Christi. Diese Gabe ist vor allem eine Dienstgabe zur Erfüllung einer Dienstaufgabe (1.Petrus 4,10). Solch gegenseitiges Dienen bringt Leiden, sowohl persönlich als auch mit den anderen und für die anderen (1.Kor.12,26) [Binde, S.63]. Dazu ist auch Gemeinschaft mit anderen Gliedern, also Gläubigen, wertvoll, die aber nicht durch große Organisationen hergestellt werden muss, sondern eher sogar besser und individueller in kleinen Hauskreisen sehr gut gelebt werden kann.

Der Glaube zeigt sich nicht im Gehorsam einer Organisation (wie einer Kirche) gegenüber, sondern an der Frucht des Geistes:

Gal. 5,22: Die Frucht des Geistes aber ist: Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut, Enthaltsamkeit.

Diese Frucht zeigt sich auch und besonders im Familien- und Alltagsleben. Bekannt ist der Spruch: „Es ist nirgends so schwer, ein Christ zu sein, wie zu Hause“. Bist du ein Glied am Leib Christi, so soll sich das zuallererst in deiner Familie bzw. Umgebung auswirken. Was gilt ein Prophet, ein Evangelist, ein Hirte oder Lehrer (nach 1.Kor.12,28), der sich im persönlichen Umgang nicht entsprechend benehmen kann?

Das Leben des Gläubigen ist also nicht durch Gesetze bestimmt, allerdings ist das uns angehende Wort Gottes verbindlicher Maßstab für Glauben und Leben (2. Tim. 3,16). Unser Gewissen sollte entsprechend geschärft und nicht „verbrannt“ sein (1. Tim. 4,2). Paulus spricht von der heilsamen Grundeinstellung der Dankbarkeit Gott gegenüber (Kol.3,15). Er erläutert viele konkrete Beziehungsordnungen, wie zwischen Mann und Frau (Eph. 5,23-28), zwischen Eltern und Kindern (Eph. 6,1-4) sowie zu allen Mitmenschen (Eph. 5,1). Das auszuleben, ist nicht immer einfach, es ist auch anstrengend, Paulus vergleicht es nicht umsonst mit einem Ringkampf, der auf zukünftige Aufgaben vorbereitet (2. Tim. 4,7-8, 1. Kor. 9,24f).

Literatur

J. Winteler: Paulus oder Petrus? Zwei unterschiedliche Evangelien (pdf, S.56-75 und S.82-92)

Manfred Mössinger: Evangelium – wie es Paulus geoffenbart wurde (pdf)

Karl Fr. Hering: Der Unterschied zwischen Israel und den Völkern (pdf)

K.-H. Kauffmann: Ein Leitfaden zum heilsgeschichtlichen Verständnis (pdf)

Adolph E. Knoch: Der Jünger Gebet – gilt das „Vater unser“ uns? (pdf, S. 74-79)

Prof. Ernst F. Ströter: Reich Gottes und Gemeinde, Vom Geheimnis der Gemeinde, Die Vollendung der Gemeinde, Die Entrückung der Gemeinde (pdf)

Karsten Risseeuw: Jesus und Paulus – sagen sie dasselbe aus? (Webpage)

Gerhard Kringe: „Die zwei Heilslinien Gottes“ (Webpage)

Friedrich Malessa: Die Gemeinde Jesu Christi (Webpage), Paulus Verlag Stuttgart

Dieter Landersheim: Das Evangelium des Apostels Paulus (Webpage)

Dieter Landersheim: Die Dienstabschnitte des Apostels Paulus (Webpage, die langsame Entwicklung des Paulus zu einem reinen Völkerapostel)

Jeff Priddy: Eine englische Grafik zum Thema (Webpage)

Fritz Binde: Die Vollendung des Leibes Christi, 1996 (1910 sprach Binde als Hauptredner bei der Allianz-Konferenz in Winterthur/CH. Aus den Vorträgen entstand dieses hervorragende Buch)

Erich Sauer: Das Morgenrot der Welterlösung, 1962, Brockhaus Verlag, Wuppertal (vor allem 3. Teil)

Erich Sauer: Das 1000-jährige Reich, Israel (Webpage)

Dieter Theiss: Der Tag wird es klarmachen, Ernst Franz Verlag, Metzingen, 2005

Hans Käser: Das vervollständigte Wort Gottes, Konkordanter Verlag Pforzheim, 2005 (Ausführliche Darstellung der beiden Evangelien)

Hermann H. Rocke: Von Tarsus bis Rom, Konkordanter Verlag Pforzheim, 2001 (Der Dienst des Apostels Paulus nach der Apostelgeschichte)

A. E. Knoch: Gott und die Nationen, Konkordanter Verlag Pforzheim, 2024 (Entstehung der Nationen, Bild des Ölbaums, Fristen der Nationen u.a.)

Wilhelm Prolingheuer: Das Gebet der Jünger, Konkordanter Verlag Pforzheim, 2003 (Das „Vaterunser“ gilt keinesfalls für alle Zeiten und Situationen)

[14] Wilhelm Prolingheuer: Israel – Ein Heiliger Überrest – und wir, Konkordanter Verlag Pforzheim, 1992

[32] Alfred Thomson Eade: Bibel Panorama. 7 Zeitalter in 12 farbigen, klar gestalteten Grafiken mit Exkursen zu den unterschiedlichen Evangelien (für Israel und die Nationen) und zum Zeitpunkt der Entrückung, mit CD für den Beamer oder zum Ausdrucken, Christliche Verlagsgesellschaft Dillenburg, 22. Auflage, 2012

[51] Arnd Bretschneider: Heilsgeschichtliche Schriftauslegung, Christliche Verlagsgesellschaft Dillenburg, Dillenburg, 2006 (Die Bibel heilsgeschichtlich lesen, verstehen und anwenden – eine Einführung).

Martin C.R. Krüger: Schriftteilung – ein schreckliches Wort? aus seinem Buch Prüft alles, das Gute haltet fest.

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Norbert Lieth (Vorstandsmitglied des international tätigen Missionswerkes „Mitternachtsruf„): Die tiefe Bedeutung der paulinischen Briefe