Gibt es mehrere Evangelien?

Auf jeden Fall doch vier, nämlich die vier Evangelien Matthäus, Markus, Lukas und Johannes, oder? So würden Einige antworten. Dadurch ergibt sich eine weitere Frage: Was bedeutet eigentlich „Evangelium“? Der Begriff Evangelium stammt aus der griechischen Sprache (εὐαγγέλιον eu-angélion) und bedeutet „Lohn für das Überbringen einer guten Nachricht“ bzw. kurz „gute Nachricht“ oder konkreter „Siegesbotschaft“. In der römischen Kaiserzeit hießen Botschaften, die vom Kaiser ausgingen oder sich auf ihn bezogen, Evangelium (wikipedia).

Je nach Verkünder, Empfänger und Inhalt kann es also durchaus verschiedene Evangelien auch in der Bibel geben. In der Tat gibt es sie auch, zumindest dem Namen nach, was eine kurze Suche ergibt: Evangelium des Königreichs (Mt. 4,23; Mt. 9,35 u.a.), Evangelium Gottes (Rö. 1,1; Rö. 15,16; 1.Thess.2,8 ff u.a.), Evangelium Seines Sohnes (Rö. 1,9), Evangelium unseres Herrn (2.Thess. 1,8), Evangelium Jesu Christi (Mk. 1,1), Mein Evangelium (Paulus in Rö. 2,16; Rö. 16,25; 2.Tim. 2,8), Evangelium der Unbeschnittenheit (Gal. 2,7-9), Evangelium der Beschneidung (Gal. 2,7-9) und Äonisches Evangelium (Offb. 14,6). Auch im AT ist von Evangelien (Freudenbotschaften, Bekanntmachungen) die Rede, z.B. der Philister (1. Chroniken 10,9), die Kunde Davids (Ps. 40,8-10), Evangelium des Nahum (Nahum 2,1) und das Evangelium Jesaias (Jes. 61,1f). Die Frage ist nur, ob und wie sie sich unterscheiden. Im Folgenden soll belegt werden, dass es zwei wesentliche Grundevangelien in der Bibel gibt.

Das Evangelium des Jesus auf der Erde

Geht es in den so genannten vier Evangelien nicht aber um die gleiche Botschaft, das gleiche Evangelium? Das stimmt, es wird auch das „Evangelium des Königreichs“ (Mt. 4,23; Mt. 9,35 u.a.) genannt. Jesus wurde von Gott zu seinem Volk Israel gesendet, um das irdische Königreich und die Eintrittsbedingungen zu verkünden. Dieses Königreich wurde von seinem Volk sehnsüchtig erwartet. In den sog. vier Evangelien wird also dieses eine Königreichsevangelium, aber unter vier verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet (Matthäus sah Jesus als König, Markus als Diener usw.). So heißt es auch in einigen Bibeln genauer, beispielsweise in der Lutherbibel: „Das Evangelium nach Matthäus“. Verkündet hat es Jesus nur den „verlorenen Schafen des Hauses Israels“ ( Mt. 15,24; Mk.1,14), um dem Volk des Bundes der Beschneidung zu dienen und die Verheißungen der Väter zu bestätigen (Rö. 15,8):

Mt.15,24: Er [Jesus] aber antwortete und sprach: Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel.

Der Jude Jesus hat also zu Juden gesprochen und zwar ausschließlich.

Basis war der „erste Bund“ (2. Mose 24,8, Hebr. 9,18-20), den Gott mit seinem auserwählten Volk Israel geschlossen hat. Es galt das Mose gegebene Gesetz zusammen mit vielen Ordnungen und Ritualen als Maßstab des Handelns. Dieser Bund basierte also auf Gerechtigkeit durch diese vorgeschriebenen Werke. Dafür wurde schon Abraham die Teilnahme am Königreich Gottes verheißen. Als Jesus auf die Erde kam, ging die Zeit der Gerechtigkeit allein durch Gesetz, als Geleiter zu ihm, zu Ende (Gal. 3,24; Lk.16,16). Nun sagte Jesus:

„Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater außer durch mich!“ (Joh. 14,6).

Dieser Weg, also Christus, wurde jedoch von seinem Volk abgelehnt – insbesondere von denen, die sich selbst als die einzigen Mittler zu Gott sahen und ihre Pfründe in Gefahr sahen, nämlich dem jüdischen Klerus, von den Pharisäern. Dem ihn abweisenden Teil des Volkes hielt Jesus vor: „Meine Lehre ist nicht von mir, sondern von dem, der mich gesandt hat. Wenn jemand dessen Willen tun will, wird er erkennen, ob die Lehre von Gott ist oder ob ich von mir selbst spreche.“ (Joh. 7,16f).

Geholfen hat das nicht. Israel, auch Braut Jehovas bzw. Jesu genannt (Jer. 2,2; Hes. 16, Offb. 21,9-14), hat aber mit der Kreuzigung diesen Ehebund gebrochen und ist damit untreu geworden (Jer. 31,31-32; Rö. 7,1-4, Mt. 23,37-39), wurde also eine Hure.

In den Königreichsgleichnissen, die Jesus seinen Jüngern in Mt. 13 erzählte, verschlüsselte er daher für sie wesentliche zukünftige Entwicklungen (siehe Link).

Das Volk versteht also Jesus nicht und denkt nicht daran, sich zu ändern (Mt. 13,13, Apg. 13, 45-50).

Das Evangelium der Apostel

Nach der Kreuzigung nach Pfingsten erhielt Israel nochmals die Möglichkeit, das „neue“ Evangelium mit Christus als Mittelpunkt, anzunehmen. Der neue Verkünder war nun der Apostel Petrus, dem die Schlüssel zum Königreich der Himmel (um den himmlischen Ursprung des irdischen Reichs zu betonen), übergeben wurden (Mt. 16,19). Petrus verkündete dieser „Pfingstgemeinde“, dass nur der gekreuzigte Jesus Heil bringen kann (Apg. 4,10-12):

So sei euch allen und dem ganzen Volk Israel kund: Im Namen Jesu Christi, des Nazoräers, den ihr gekreuzigt habt, den Gott auferweckt hat aus den Toten – in diesem ⟨Namen⟩ steht dieser gesund vor euch. Das ist der Stein, der von euch, den Bauleuten, verachtet, der zum Eckstein geworden ist. Und es ist in keinem anderen das Heil; denn auch kein anderer Name unter dem Himmel ist den Menschen gegeben, in dem wir gerettet werden müssen.

An wen ging diese Botschaft? Jesus stellte gegenüber den Zwölfen klar:

Geht aber vielmehr zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel … heroldet und sagt: Genaht hat sich das Königreich (Mt. 10,6; Mt. 10,23; Apg. 10,42f).

Die 12 Apostel blieben mit diesem Evangelium also, genauso wie Jesus vorher, strikt in den Grenzen des Landes (1. Petrus 2,9). Nur der Apostel Paulus wandte sich auch an die Juden außerhalb des Landes (Apg. 13,2), sowie an die Proselyten, die das Judentum annahmen, obwohl sie nicht dem Volk Israel leiblich abstammten (Apg. 26,6-10; 28,20; Kol. 4,10-11). Petrus hatte lediglich schriftlich Kontakt mit ihnen (1. Petrus 1,1; 2.Petrus 3,15-16). Auch diese Phase führte nicht zum Erfolg, Israel blieb verstockt und lehnt dieses Evangelium endgültig ab (Apg. 28,24-29):

Und einige wurden überzeugt von dem, was gesagt wurde, andere aber glaubten nicht. Als sie aber unter sich uneins waren, gingen sie weg, als Paulus ein Wort sprach: Trefflich hat der Heilige Geist durch Jesaja, den Propheten, zu euren Vätern geredet und gesagt: »Geh hin zu diesem Volk und sprich: Hörend werdet ihr hören und nicht verstehen, und sehend werdet ihr sehen und nicht wahrnehmen. Denn das Herz dieses Volkes ist dick geworden, und mit den Ohren haben sie schwer gehört, und ihre Augen haben sie geschlossen, damit sie nicht etwa mit den Augen sehen und mit den Ohren hören und mit dem Herzen verstehen und sich bekehren und ich sie heile.« So sei euch nun kund, dass dieses Heil Gottes den Nationen gesandt ist; sie werden auch hören.

Letztlich war aber auch das Gottes Werk, denn „Gott gibt ihnen einen Geist der Betäubung, Augen die nicht erblicken…“ (Rö. 11,8). Nach Lk. 21,24 wird das Volk Israel in alle Welt zerstreut (Diaspora) und Jerusalem „zertreten“ (Zerstörung 70 n. Chr.) und zwar bis die Zeiten der Nationen sich erfüllt haben (Rö. 11,25). Die Verheißungen an Israel (ein Segen für die Völker der Erde zu sein, also das irdische Königreich) blieben jedoch bestehen (Rö. 11,1f). Diese Phase kann als eine des Übergangs betrachtet werden. Nun wendet sich Gott den nichtjüdischen Nationen (griech. ethnos, auch mit Heiden oder Völker übersetzt) zu:

Das Evangelium des Apostels Paulus

Ein zentrales Ereignis, um diesen Wechsel zu verstehen, ist das Apostelkonzil um 48 n.Chr. in Jerusalem nach Apg. 15 und Gal. 2,7-9:

Als sie [die 12 Apostel] sahen, dass mir [Paulus] das Evangelium für die [wörtlich der] Unbeschnittenheit anvertraut war ebenso wie Petrus das für die [wörtlich der] Beschneidung – denn der, der in Petrus zum Apostelamt für die [wörtlich der] Beschneidung wirksam war, war auch in mir für die Nationen wirksam –,und als sie die Gnade erkannten, die mir gegeben worden ist, gaben Jakobus und Kephas und Johannes, die als Säulen angesehen werden, mir und Barnabas den Handschlag der Gemeinschaft, damit wir unter die Nationen ⟨gingen⟩, sie aber unter die Beschnittenen.

Nachdem Paulus 14 Jahre nichts mit den restlichen Aposteln zu tun hatte (Gal. 2,1), besucht er nun die Zwölf, um das Evangelium vorzustellen, dass er unter den Nichtjuden verkünden sollte. Wären es die gleichen Inhalte gewesen, wäre ein Besuch wohl kaum erforderlich gewesen. Hat sich Paulus etwa in der Abgeschiedenheit etwas Eigenes ausgedacht, auf Basis des Vorhandenen? Nein, dieses Evangelium wurde ihm nicht von anderen Menschen überliefert, sondern er erhielt es direkt durch eine Offenbarung Christi (Gal. 1,11f; Apg. 26,17f; Eph. 3,1-7; 1. Kor. 2,13). Ihm wurde ein Geheimnis enthüllt, d.h. vorher waren diese Inhalte und der neue Empfängerkreis völlig unbekannt (Eph. 3,3), die Paulus gewährten Enthüllungen wurden als „außerordentlich“ bezeichnet (2. Kor. 12,7). Dafür wurde Paulus schon seit seiner Geburt abgesondert (Gal. 1,15). Es war seine Bestimmung, zu den Nationen zu gehen (Apg. 22,11-21).

Deshalb spricht Paulus auch völlig zu Recht von „meinem“ Evangelium (Rö. 2,16; Rö. 16,25; 2. Tim. 2,8), weil es so sehr mit ihm als Verkünder verknüpft ist. Es gab bei dem Aposteltreffen also keine reine Gebietsaufteilung, wie oft gemutmaßt wird und auch recht unsinnig gewesen wäre (12 Apostel für das kleine Volk Israel, ein Apostel für den Rest der Welt?).

Nein, alles spricht dafür und klarer kann es in der Bibel auch kaum ausgedrückt werden: Allein Paulus ist Herold und Lehrer der Nationen (2.Tim.1, 9-11; Kol. 1,23; Ti. 1,1-3).

Warum hören wir in den Kirchen trotzdem so selten von diesem, für uns bestimmten Evangelium?

Es ist auch nicht so, dass das Evangelium des Paulus ein Lückenfüller ist, weil Israel nicht wollte. Nein, die herausgerufene Gemeinde wurde sogar schon vor Grundlegung der Welt auserwählt (Eph. 1,4; 2. Thess. 2,13), also vor allen Zeiten (2. Tim. 1,9).

Dieses Evangelium hat also einen eigenen Namen: „Evangelium der Unbeschnittenheit“. Es steht in klarem Kontrast zu dem Evangelium der Beschneidung (Gal. 2,7-9).

Welche Unterschiede gibt es?

Inhalte des Evangeliums der Unbeschnittenheit

Nach dem dargestellten speziellen Auftrag an Paulus begann Gott mit der Berufung der Mitglieder der herausgerufenen Gemeinde.

Dem Apostel Paulus wurde die „Verwaltung der Gnade“ übergeben, die ihm für uns gegeben wurde – vorher war diese unbekannt, ein Geheimnis (Eph.3,2-3). Ihm wurde geoffenbart, dass das Gesetz nur ein Geleiter zur Gnade ist (Rö.5,20f), weil es zur Erkenntnis der eigenen Fehlbarkeit führt (Rö. 3,20-22). Das Gesetz gilt uns daher nicht mehr (Rö. 2,14; Rö. 6,14; Gal. 2,15f; Gal. 5,6). Paulus spricht daher nie von Priestertum und Tempeldiensten, hat nur in der Übergangszeit selbst getauft und lehrte auch sonst keine Rituale mehr. Rechtfertigung allein aus Glauben ohne Werke (Rö.3,24,Rö.3,28; Rö. 5,9) ist eine völlig neue Botschaft, die vorher unbekannt war. Mit Werken sind dabei alle Rituale gemeint, die eine falsche Sicherheit geben können: Taufe, Kirchgang, Konfirmation, Buße tun und andere.

Die jüdischen Gläubigen hatten dagegen das Gesetz in Auswirkung ihres Glaubens zu halten (Rö.9,4; Apg.21,20; Jak.2,8-11; Jak.4,11).

Die Aufgabe der herausgerufenen Gemeinde ist vor allem, Gott den Geschöpfen des Überhimmels wie auch den Mitmenschen bekannt zu machen, jetzt (Eph. 3,10) und „in den herankommenden Äonen den alles übersteigenden Reichtum Seiner Gnade“ (Eph. 2,5-7). So fragt Paulus: „Wisst ihr nicht, dass wir Boten [traditionell übersetzt mit Engel] richten [zurechtbringen] werden?“ (1.Kor. 6,3). Da die Gemeinde den Körper Christi darstellt, ist davon auszugehen, dass diese auch bei den Gerichten dabei ist, die von Christus noch durchgeführt werden, wie vor dem großen, weißen Thron (Offb. 20,11).

Paulus formuliert daher in Phil. 3,20, dass unser Bürgertum in den Himmeln ist. Dort liegen unsere Bürgerrechte und -pflichten, nicht im Irdischen, wie für Israel (siehe auch Phil. 3,29; Kol. 3,1f).

Bürger des Himmels kann unabhängig von seiner leiblichen Abstammung jeder werden (Gal. 3,28). Fleischliche Vorzüge, noch wichtig im Evangelium der Beschneidung, sind nicht mehr relevant. Voraussetzung ist allein die Berufung/Auswahl durch Gott (Rö. 8,30).

Natürlich erzählen wir auch jetzt schon unserem Nächsten von dem Evangelium (2. Kor. 5,20) und leben es ihm vor, aber eine Völkermission, wie es Israel im Millennium verheißen ist (Mt. 28,19), ist nicht unser Auftrag. Gott nutzt zwar Anstrengungen in dieser „Richtigung“ trotzdem, aber es werden nur Einzelne erreicht und zum Glauben gebracht. Erfolg im großen Stil, wie es Israel im Millennium verheißen ist, wird nicht eintreten. Wird dies missverstanden, können bei dem momentanen Missionsleerlauf wegen der Erfolglosigkeit leicht Glaubenszweifel aufkommen – und das nur, weil die Empfänger des sog. Missionsbefehls nicht beachtet wurde.

Paulus verkündet, dass wir in Christus sind (wie in Rö. 8,1), ja die Gemeinde bildet sogar den Körper (Leib) Christi mit all seinen Gliedern (Kol. 1,18; Kol. 1,24). Somit vervollständigen wir sogar Christus (Eph. 1,22-23). Christus selbst ist dabei das Haupt (Eph. 1,22). Das ist im Evangelium der Beschneidung völlig unbekannt.

Da die Gemeinde der Körper Christi ist, kann sie nicht gleichzeitig auch noch die Braut sein. Die femininen Namen wie Witwe, Hure, Weib und Braut, werden deswegen in der Bibel konsequent, je nach Stand und Verhältnis, auf das Volk Israel angewandt (Jes. 54,6; Klagelieder 1,1f; Offb. 19,7; Offb. 21,9, uva.).

Die Erwartung der herausgerufenen Gemeinde

Die Gläubigen aus den Nationen werden nach der Auferstehung in einem Nu verwandelt (1. Kor. 15,51-52) und vollendet – sie treffen Christus dabei „in der Luft“ (1. Thess. 4,16). Dies ist der Tag Christi (Phil. 1,6, 1. Kor. 1,8 u.a.). Von Paulus wird dies auch „Ausauferstehung (griech. Exanastasis“) genannt (Phil.3,11), da nur der gläubige Teil aus der Gesamtheit aufersteht.

Die herausgerufene Gemeinde hat also eine „frühe Erwartung“ in Christus (Eph.1,12), denn sie wird vor den Gerichten am Tag des Herrn gerettet (1. Thess. 1,10, Rö. 5,9). Der Tag Christi wird vor der sog. Endzeit und vor dem Tag des Herrn stattfinden, die mit Gerichten für Israel verbunden ist. Vor dem Tag des Herrn wird noch der „Abfall“ kommen und der „Mensch der Gesetzlosigkeit“ enthüllt werden (2.Thess. 2,2f). Dies geschieht, wenn das „Aufhaltende“ (die Gemeinde) nicht mehr da ist (Video dazu, Text siehe auch hier):

Auch dieser Vorgang der exklusiven Auferstehung für die Gläubigen aus den Nationen und deren Verwandlung ist ein Geheimnis, das vorher unbekannt war und nur Paulus geoffenbart wurde. Dagegen wird die Auferstehung zum Gericht für Israel stattfinden, wenn Jesus in Macht und Herrlichkeit auf dem Ölberg kommt:

Die Erwartung Israels

Während die Gläubigen der Jetztzeit vor den Endzeitgerichten Gottes hinweggenommen werden, muss das Volk Israel diese „Endzeit“ durchleiden. Es ist eigentlich nur noch eine kleine Schar, eine „Auswahl aus Israel“ (Rö. 11,7), die Gott in diesem schweren Zeiten die Treue halten wird, „denn nicht alle, die aus Israel, diese sind Israel“ (Rö. 9,6) und somit die Verheißung des äonischen Lebens erhalten, „auf das jeder, der an Ihn glaubt, nicht umkomme, sondern äonisches Leben habe“ (Joh. 3,18). Das äonische Leben (oft etwas missverständlich mit „ewig“ übersetzt) beginnt nach der „späteren Erwartung“, der Auferstehung (Joh. 6,40;6,54) aller Israeliten, denn „viele so unter der Erde schlafen, werden aufwachen: etliche zum äonischen Leben, etliche aber zu äonischer Schmach und Schande“ (Dan. 12,2). Jesus Christus wird dazu als König auf den Ölberg kommen (Sach. 14,4-9, Mt. 5,35).

Gott schließt nun einen „Neuen Bund“ mit Israel. Dieser wird wieder ausschließlich mit dem Haus Israel und Juda geschlossen, was beispielsweise Hebr. 8,8 und Jer. 31 deutlich aussagen. Nun findet also das ersehnte „äonische Leben“ statt („im kommenden Äon äonisches Leben“, Mrk. 10:30); dort werden sie „Priester Gottes und des Christus sein und werden herrschen mit Ihm tausend Jahre“ (Offb. 20,6, 1.Petr. 2,9). Israel wird sich an die Nationen wenden und sie missionieren (Mt. 28, 18-20).

Es wird dazu das Reich aufgebaut werden, das Jesus und die Propheten angekündigt hatten. Beispielsweise in Jesaja 2,2-4:

„Und es wird geschehen am Ende der Tage, da wird der Berg des Hauses Jehovas feststehen auf dem Gipfel der Berge und erhaben sein über die Hügel und alle Nationen werden zu ihm strömen. Und viele Völker werden hingehen und sagen: Kommt und lasst uns hinaufziehen zum Berge Jehovas, zum Hause des Gottes Jakobs! Und er wird uns belehren aus seinen Wegen, und wir wollen wandeln in seinen Pfaden. Denn von Zion wird das Gesetz ausgehen, und das Wort Jehovas von Jerusalem; und er wird richten zwischen den Nationen und Recht sprechen vielen Völkern. Und sie werden ihre Schwerter zu Pflugmessern schmieden und ihre Speere zu Winzermessern; nicht wird Nation wider Nation das Schwert erheben und sie werden den Krieg nicht mehr lernen.“

Liecht ist zu erkennen, dass dies noch nicht eingetreten ist (siehe auch Ps. 2,7-9; 110,2-4, Jes. 11,1-9; 24,23; 25,6-8; 33,17-24, Dan. 7,13-14, Sach. 8,13; 14,9-17; Offb. 20 ua.). Israel wird nun endlich Gott erkennen können (Sach. 12,10, Offb. 1,7, 2.Kor.3,14-15). Israel herrscht dann also und wird die übrigen Nationen missionieren (Offb. 21,12-26). Viele Menschen auf dieser dann auch neuen Erde werden zum Glauben kommen können.

Im Jerusalem der Neuen Erde in Offb. 21,12 werden übrigens in den 12 Toren und 12 Grundfesten (Offb. 21,14) nur die 12 Apostel genannt, nicht aber der Nationenapostel Paulus. Damit haben wir also nichts zu tun.

Gemeinsames

Wichtige Basis ist jeweils Christus, sein Tod und seine Auferstehung (1. Kor. 3,11). Nur durch Ihn als Mittler kann die Menschheit erlöst werden. Gott, unser Vater, hat Menschen und sein Volk erwählt, um alle zu segnen. Die Evangelien beider Heilskörperschaften können daher als besondere Ausprägung verstanden werden, entsprechend ihrer Aufgaben.

Beide Heilskörperschaften sind von Gott erwählt worden. Paulus wurde erwählt (Gal. 1,15), obwohl er ehemals die Gemeinde bis aufs Blut verfolgt hat und er sich selbst sogar als geringsten der Apostel ansah (1. Kor. 15,9). Die Glieder am Leib Christi werden ebenfalls von Gott ausgewählt, zuallererst, vor allen Zeiten (2. Tim. 1,9, Eph. 1,4). Israel wurde danach, nach Grundlegung der Erde (Offb. 13,8; 17,8) von allen Völkern ausgewählt, obwohl es das geringste unter allen Völkern ist (5. Mose 7,6-8), um die Verheißungen an Abraham auszuführen „alle Nationen auf Erden zu segnen“ (1. Mose 12,3). Innerhalb des Volkes findet noch eine weitere Auswahl statt (Rö. 11,7). Gott erwählt zu bestimmten Aufgaben und selten die Macht- und Ehrenvollen, denn er sieht nicht das Äußere an.

Beide Heilskörperschaften haben die Aufgabe, in ihrem Wirkungsbereich Gott bekannt zu machen. Gottes Schöpfung wird in der Bibel in zwei Bereiche geteilt („in den Himmeln und auf der Erde, das Sichtbare und das Unsichtbare“, Kol. 1,16; Phil. 2,10). Entsprechend wurden auch zwei Gruppen von Menschen ausgewählt, um deren Bewohner Gott nahe zu bringen. Beide Aufgaben werden während des „äonischen Lebens“ (1.Tim.6,12) ausgeführt, wenn auf der Erde das 1000-jährige Reich stattfindet, bzw. es zu einer Neuen Erde und Neuen Himmel kommt.

Der Glaube ist in beiden Fällen ein Geschenk Gottes, eine Gnadengabe (Israel: 2. Petrus 1,1ff; Leib Christi: Eph. 2,5+8). Die restlichen Gnadengaben sind im Fall Israels eher irdisch, im Fall des Evangeliums der Unbeschnittenheit eher himmlisch.

Man kann also sagen: Wenn der Leib Christi mit der Vervollständigung der Gläubigen aus den Nationen vollendet ist, kann erst die Hochzeit mit dem dann zurecht gebrachten Volk Israel als Braut stattfinden (Offb. 19,6f). Für die Braut, das Volk Israel, bleibt das Gesetz ein wichtiges Element und wird es zur Missionierung der Völker im Tausendjahrreich als Mittel wieder sein. Letztlich gilt aber das, was Paulus geoffenbart wurde, nämlich dass das Gesetz nur ein Geleiter zur Gnade ist (Rö.5,20f), weil es zur Erkenntnis der eigenen Fehlbarkeit führt (Rö. 3,20-22). Mit dieser Hochzeit ist die Voraussetzung für die Aussöhnung Gottes mit allen Menschen geschaffen, die am Ende der Zeiten stattfinden wird (1. Kor. 15,28).

Gott führt also vom Besonderen zum Allgemeinen und wird letztlich zum Heil aller Menschen aus Juden und Nationen [51, S.127]. Die Auserwählten aus seinem Volk und den Nationen (Ekklesia, Gemeinde) sind in seinem Plan nur die Vorhut, die besondere Aufgaben erhalten haben, um alle Menschen zu Ihm zu führen.

Letztlich wird Gott mit seinem Gegenüber, der gesamten Menschheit, zum Ziel kommen: Er wird alles in allen sein! Jeder einzelne Mensch wird von Gott zubereitet worden sein und ihn erkennen können. Es gibt keinen Tod, keine Feindschaft, Sünde oder Kränkung mehr. Ein für uns im Moment unvorstellbarer Zustand der Aussöhnung Gottes mit Seiner Schöpfung bildet den Abschluss aller Zeiten. Beide Evangelien sind zum Ende gekommen, wenn sich Alles Gott untergeordnet hat (1. Kor. 15,28).

Zusammenfassung

Die wichtigsten Unterschiede werden in der folgenden Tabelle dargestellt:

Gläubige aus Israel (Beschneidung)Gläubige aus den Nationen (Nichtbeschneidung)
LehrerJesus und dann Petrus verkünden Evangelium der BeschneidungMt. 15,24, Gal. 2,7Paulus verkündet Nationen das Evangelium der Nichtbeschneidung;
Paulus vervollständigt das Wort
Eph.3,2-3, 7-9 ; 1.Tim. 1,11, 2,7,
Rö. 15,15f, Gal. 1,1
Titus 1,3 Kol. 1,25
Gesetz Von Gott gegeben und Er bewirkt in den Gläubigen, dass es gehalten werden kann.Hes. 36,27
Mt. 19,16
1.Petr. 4,18
Nicht unter Gesetz, sondern unter Gnade.Röm. 2,14; 6,14, 10,4
Verheißungen und Aufgaben im äonischen Leben (während der kommenden beiden Äonen)Irdische Erwartung

Verheißungen an Abraham werden sich an Israel erfüllen


Königreich auf Erden wird wiederhergestellt.

Erleben 1000-jähriges Reich (nächster Äon) auf der jetzigen Erde und das Neue Jerusalem auf der neuen Erde (letzter Äon)


Nationen werden durch die Gläubigen aus Israel gesegnet.
Verkündung Gottes den Nationen auf der Erde:
Durchführung des Missionsbefehls
1.Mose 12,3; 49,10

2.Mose 19,5-6; 33,16-17;
4.Mose 23,9,

Jes.2,2 ff., 49,22f, 61,5-6;

2.Sam.7,12, 27
1.Chr.17,21:
Apg.1,6-7;
Röm.9,3-6; Off. 20,4-6; Off. 21




1.Petr.2,9
Off.2,26f, 20,6






Matt. 28,19
Himmlische Erwartung

Königreich in den Himmeln

Entrückung in die Himmel



Verkündung Gottes den Gewalten des Himmels
Phil.3,20-21;
Eph.1,3; 2,6+19
Kol.1,5+13


2.Tim. 4,18
1.Thess 4,17
Phil.3,20

Eph. 2,5-7, 3,10-12; 1.Kor. 6,2+3
GlaubensbeginnWiedergeburt durch Christus (Wiederbelebung des alten Bundes)Mt.19,28
1.Petrus 1,3,
Röm. 15,8
Neuschöpfung in Christus (kein Bezug auf ältere Verheißungen)2. Kor. 5,17
TaufeMit Wasser und GeistApg. 1,5; 2,38; 8,12-17
Nur mit Geist;
Wassertaufe überflüssig
1.Kor. 12,13 1,17;
Eph.4,5
Die große DrangsalSie muss durchlebt werden, auch mit Verlusten. Israel erwartet den Retter erst nach der Drangsal.Mt.24,9; 29-31;
Luk. 21,36;
Off. 6,10f; 13,6
Gemeinde wird vor dem Zorn gerettet.Rö. 5,9;
1.Thess. 1,10; 5,9
Symbol für die Beziehung zu Gottes Sohn während des zukünftigen äonischen LebensBraut des Lammes (Jesu): Nach der Zeit der Scheidung gibt es eine Wieder-vereinigung (Heirat)Joh.3,29
Off. 19,7-8; 21,9-14
Körper des Christi: Jesus Christus ist der Kopf, die Gläubigen die GliederRöm.12,4f
1. Kor. 12,12
Eph.1,22ff.

Quelle: Auszug aus der Tabelle von J. Winteler (pdf, ab S.71).

Konsequenzen

Ein neues Bibelverständnis: „Schriftteilung“

Ein Vermischen des neuen, nur Paulus geoffenbarten Evangeliums, mit der „alten“ nur Israel geltenden Wohlbotschaft verurteilt Paulus scharf („…in den Bann getan sei er“, Gal. 1,9). Leider ist die Aufforderung zur Trennung („richtig schneide das Wort Gottes!“, 2. Tim. 2,15) schon bald nach Paulus verschüttet worden. Statt des uns angehenden Evangeliums werden oft leicht verständliche Geschichten des Alten Testaments und des Jesus von Nazareth recht willkürlich auf die heutige Zeit übertragen, obwohl Gottes Ziele mit den Menschen (und damit Seine Anweisungen) damals ganz andere waren als heute.

Nach dem Erkennen der unterschiedlichen Zielgruppen werden auch andere Eigenheiten der Paulusbriefe erklärlich. Jesu Lehren auf der Erde sind bei Paulus nicht mehr Gegenstand seiner Betrachtung, da sie ja nur der Auswahl aus Israel gelten (Mt. 15,24; 10,5). Der Bochumer Neutestamentler Klaus Wengst bringt es auf den Punkt: „Wenn wir dem Jesus der Evangelien begegnen, begegnen wir einem Juden, der nicht isoliert von seinem Volk gelebt hat, sondern mitten in ihm und mit ihm. Wenn wir ihm begegnen, begegnen wir also Jüdischem und nur Jüdischem.“ Die Worte Jesu kommen daher in den Paulusbriefen überaus selten vor (1. Kor. 7,10; 9,14; 11,24; 1.Thess. 4,15). Bezeichnenderweise benutzt Paulus auch den Namen des irdischen Jesus äußerst selten (nur 15mal), stattdessen verwendet er vor allem (378mal) den Titel des erhöhten „Gesalbten“: Christus, der ihm ein bis dahin unbekanntes Evangelium enthüllte (Eph. 3,2f; Gal. 1,11f), mit dem gekreuzigten Jesu und auferstandenen Christus als Mittelpunkt!

Werden diese Unterschiede vernachlässigt, kann die Bibel kaum recht verstanden werden. Wichtig ist zu erkennen: Das Ziel der Gemeinde ist die Entrückung in den Himmel, das Ziel Israels ist das Herrschen auf der Erde.
Als der Herr Jesus beispielsweise mit seinen Jüngern über die Zukunft sprach, war deren heilsgeschichtliches Denken und Endzeiterwartung vom Alten Testament her geprägt. Sie waren Juden und erwarteten das sichtbare Reich Gottes auf der Erde. Wenn die Jünger daher fragten „Was ist das Zeichen deiner Ankunft und der Vollendung des Zeitalters“ (Mt. 24,3), meinten sie damit natürlich nicht die Entrückung, sondern das Kommen Jesu zum Aufrichten seines Reichs auf dieser Erde.

In Mt. 25,31 wird das Gericht Christi beschrieben, das nach seinem Kommen in Macht und Herrlichkeit auf der Erde stattfinden wird. Der Herr wird die Menschen dabei wie die Schafe (sowieso ein Symbol für Israel) von den Böcken trennen. Manche vertreten die Ansicht, die Gläubigen unserer Zeit seien die Schafe zur Rechten Jesu. Man muss hier jedoch beachten, worum es bei dem in dieser Stelle beschriebenen Gericht geht. Das Gericht geschieht zu Beginn des 1000-jährigen Reiches. Es betrifft die Frage, wer von den zu diesem Zeitpunkt auf der Erde lebenden Menschen ins Reich Gottes eingehen darf und wer nicht. Für die Gemeinde geht es heilsgeschichtlich jedoch gar nicht um den Eingang ins irdische Reich Gottes, sondern um den Eingang ins himmlische Vaterhaus (Phil. 3,20). Sie können daher mit den Schafen nicht gemeint sein [51, S.42].

Israel erwartet auch die sog. „Drangsal“ (Mt. 24,9; siehe Tabelle), die die Gemeinde nicht erlebt.

Ihr persönlicher Glaubensbeginn ist eine Wiedergeburt, denn der Alte Bund wird wiederbelebt. Bei den Nationen ist dagegen von einer „Neuschöpfung“ die Rede, denn sie haben keinen Bezug auf ältere Verheißungen.

Diese Besonderheiten des Evangeliums für die Unbeschnittenheit finden sich ausschließlich in den Briefen des Apostel Paulus. Innerhalb dieser Briefen ist eine Entwicklung zu erkennen [Winteler, S.86f]: Zu den Vorbereitungsbriefen zählen Römer, 1. und 2. Korinther und der Brief an die Galater. Die Vollkommenheitsbriefe, die besonders in die Aufgaben und das  Erwartungsgut der Gemeinde einführen, sind die an die Epheser, Philipper und Kolosser. In den Briefen des Apostel Paulus ist nie etwas von den Begriffen die Rede, die im Evangelium der Beschneidung wichtig sind, wie Neue Himmel und neue Erde, das 1000-jährige Reich, Königreich der Himmel usw. Gläubige werden bei Paulus auch nie als Schafe bezeichnet. Die Unterschiede sind eklatant:

Erwartungsgerechtes Gemeindeleben

Manche Gebräuche in Kirchen und Gemeinden rühren daher, dass man Aussagen für Israel auf die Gemeinde (Nationen) anwendet. Es folgen einige Beispiele dazu, welche Auswirkungen die fehlende Unterscheidung zwischen Israel und der Gemeinde auf die Kirche gehabt haben [51, S.45]:

  • Der Schlusssegen in der kirchlichen und zum Teil auch freikirchlichen Liturgie stammt aus dem Segensspruch des Hohepriesters über Israel (4.Mose 6,24-26). Heute sind Priester als Mittler des Segens nicht mehr erforderlich (Eph. 1,3); allein Christus ist Mittler (1. Tim. 2,5).
  • Die Unterscheidung in Geistliche und Laien, die Existenz einer besonderen Klasse von kirchlichen Würdenträgern, sowie die kirchliche Hierarchie beruhen auf der im Gesetz geregelten Stellung der Priesterschaft bzw. Hohepriester Israels. Heute sind alle Gläubigen in Christus in der gleichen Stellung vor Gott, obgleich es verschiedene Aufgaben gibt (Eph. 4,11f). Nationen sind zudem nicht mehr unter Gesetz.
  • Die besonderen Gewänder der Priester und Pfarrer haben ihren Ursprung darin, dass die Priester in Israel bei ihrem Dienst im Tempel besondere Gewänder tragen mussten.
  • Wenn durch die kirchliche Kindertaufe der biologische Nachwuchs in die Kirche eingegliedert wird, ist dies die analoge Handlung zur alttestamentlichen Beschneidung, durch die für die männlichen Israeliten ihre Zugehörigkeit zum damaligen Volk Gottes fest gemacht wurde. Heute ist die Wassertaufe als Vorschattung abgeschafft, es wird bei dem Glaubensbeginn nur noch in Christus getauft.
  • Die Errichtung prächtiger Kathedralen nach dem Vorbild des Tempels in Jerusalem.
  • Das  „Vater unser“ ist ein Gebet für Israel, nicht für uns, die Nationen (siehe hier, S.74-79). Dennoch gehört es in unseren Kirchen zum Gottesdienstritual und wird gedankenlos nachgesprochen.

Selbst ins Liedgut kann dieses falsche Verständnis hineinwirken:

  • „Von ganzem Herzen will ich dir danken, vor allen Menschen singe ich dir. Vor deinem Tempel will ich anbeten. Ich will dich preisen, gütiger Herr“ (Text: Lothar Gassmann nach Ps. 138).
  • „Ich will einzieh’n in sein Tor mit dem Herzen voller Dank; ich will treten in den Vorhof mit Preis! Denn ich weiß, dies ist der Tag, den der Herr gemacht: ich will mich freu’n, er hat mich froh gemacht“ (Text: engl. Original: Leoana von Brethorst, deutsch: Gitta Leuschner).

Beide Lieder bringen die Freude der gläubigen Juden aus der Zeit des Alten Testaments zum Ausdruck, wenn sie zum Tempel gingen und dort Gott lobten. Gegenüber den Erlösten aus der jetzigen Zeit hatten sie jedoch einen entscheidenden Nachteil: Mit Ausnahme der Priester dürfen die Juden nicht ins Heiligtum hineingehen. Während sie also nur „in den Vorhof“ treten und „vor deinem Tempel“ anbeten konnten, haben die Erlösten aus den Nationen heute ein gewaltiges Vorrecht: Sie dürfen unmittelbar zum himmlischen Vater durch Jesus Christus kommen. Ihr eigener Körper ist der Tempel des Heiligen Geistes (1. Kor. 3,16) – besondere Gebäude sind nicht mehr erforderlich.

Vielfach ist auch von Jesus als König die Rede und vom Aufbauen des „Reichs“. Momentan ist aber Christus nicht unser König, sondern Christen leben jetzt in einem sehr viel persönlicheren Verhältnis zu Christus, Christen sind „in Christus“ (Rö. 8,1). Er ist unser Haupt (Eph. 1,22), aber nicht unser König! Jesus wird erst wieder im Millennium König sein (Offb. 21,6). Christen bauen auch nicht an einem irdischen Reich, wie es nach wie vor den gläubigen Juden verheißen ist, sondern sie haben eine himmlische Erwartung (s.o.).

Ethelbert Bullinger schrieb dazu: Wichtig ist zu erkennen, dass „Paulus die kostbaren Lehren festhielt, die bisher verborgen waren und nicht bekannt gegeben werden konnten, bevor Christi Leiden, Sterben, Auferstehung und Himmelfahrt tatsächlich stattgefunden hatten; denn sie haben all dies zur Voraussetzung. Diese Lehren finden sich ausschließlich in den Briefen aus der Gefangenschaft (Epheser, Philipper und Kolosser) und hierher gehören auch die Briefe an Timotheus, Titus und Philemon“ (S. 12). Er hofft, dass man geheilt wird „von einer unbewussten und biblischen Kleptomanie, durch die alle Segensverheißungen von Israel genommen und der Gemeinde zugesprochen wurden“ (S. 93).

Viele Missverständnisse werden also vermieden, wenn unterschieden wird, welche Heilskörperschaft gerade angesprochen wird.

Auswirkungen im persönlichen Glaubensleben

In dem eigenen Glaubensleben bewirkt ein Beachten des Evangeliums das uns gilt, Konzentration auf das Wesentliche. Routinierte Gottesdienstliturgie? Konfirmation, um der Geschenke willen? Rituale und angestaubte Gewohnheiten wie Taufe, Talar und Gemeindeaktivismus? All dies ist in dem uns angehenden Evangelium nicht relevant. Alle Gläubigen sind gleichberechtigte Glieder am Leib Christi. Jeder ist für sich selbst dem Haupt Christus gegenüber verpflichtet. Das erfordert eine neue Selbstständigkeit im Glauben. Ein Pastor ist nicht verantwortlich für den eigenen Erkenntnisgewinn im Wort, sondern jeder sollte für sich prüfen, was Wesentlich ist (Phil. 1,10) – auch verschiedene Auslegungen. Natürlich können aber Glieder der Gemeinde, die sich als Lehrer eigenen, unterstützen. Man sollte sich immer wieder vor Augen halten: Der Herr teilt sich in seinem Wort mit. Wer sein Wort aufnimmt, nimmt ihn auf. Gesunde Christuserkenntnis ist geknüpft an die gesunde Worte des Herrn. Dadurch ergibt sich ein gesundes Wachstum der Glieder am Leib Christi. Jedes Glied am Leib Christi hat eine Gabe, es ist berufen zum Werk des Dienstes für die Auferbauung des Leibes Christi. Diese Gabe ist vor allem eine Dienstgabe zur Erfüllung einer Dienstaufgabe (1.Petrus 4,10). Solch gegenseitiges Dienen bringt Leiden, sowohl persönlich als auch mit den anderen und für die anderen (1.Kor.12,26) [Binde, S.63]. Dazu ist auch Gemeinschaft mit anderen Gliedern, also Christen, wertvoll, die aber nicht durch große Organisationen hergestellt werden muss, sondern eher sogar besser und individueller in kleinen Hauskreisen sehr gut gelebt werden kann.

Der Glaube zeigt sich nicht im Gehorsam einer Organisation (wie einer Kirche) gegenüber, sondern an der Frucht des Geistes:

Gal. 5,22: Die Frucht des Geistes aber ist: Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut, Enthaltsamkeit.

Diese Frucht zeigt sich auch und besonders im Familien- und Alltagsleben. Bekannt ist der Spruch: „Es ist nirgends so schwer, ein Christ zu sein, wie zu Hause“. Bist du ein Glied am Leib Christi, so soll sich das zuallererst in deiner Familie bzw. Umgebung auswirken. Was gilt ein Prophet, ein Evangelist, ein Hirte oder Lehrer (nach 1.Kor.12,28), der sich im persönlichen Umgang nicht entsprechend benehmen kann?

Literatur

J. Winteler: Paulus oder Petrus? Zwei unterschiedliche Evangelien (pdf, S.56-75 und S.82-92)

Manfred Mössinger: Evangelium – wie es Paulus geoffenbart wurde (pdf)

Karl Fr. Hering: Der Unterschied zwischen Israel und den Völkern (pdf)

K.-H. Kauffmann: Ein Leitfaden zum heilsgeschichtlichen Verständnis (pdf)

Adolph E. Knoch: Der Jünger Gebet – gilt das „Vater unser“ uns? (pdf, S. 74-79)

Gerhard Kringe: „Die zwei Heilslinien Gottes“

Friedrich Malessa: Die Gemeinde Jesu Christi (webpage), Paulus Verlag Stuttgart

Dieter Landersheim: Das Evangelium des Apostels Paulus

Jeff Priddy: Eine englische Grafik zum Thema

Fritz Binde: Die Vollendung des Leibes Christi, 1996 (1910 sprach Binde als Hauptredner bei der Allianz-Konferenz in Winterthur/CH. Aus den Vorträgen entstand dieses hervorragende Buch)

Erich Sauer: Das Morgenrot der Welterlösung, 1962, Brockhaus Verlag, Wuppertal (vor allem 3. Teil)

Erich Sauer: Das 1000-jährige Reich, Israel

Dieter Theiss: Der Tag wird es klarmachen, Ernst Franz Verlag, Metzingen, 2005

Hans Käser: Das vervollständigte Wort Gottes, Konkordanter Verlag Pforzheim, 2005 (Ausführliche Darstellung der beiden Evangelien)

[14] Wilhelm Prolingheuer: Israel – Ein Heiliger Überrest – und wir, Konkordanter Verlag Pforzheim, 1992

[32] Alfred Thomson Eade: Bibel Panorama. 7 Zeitalter in 12 farbigen, klar gestalteten Grafiken mit Exkursen zu den unterschiedlichen Evangelien (für Israel und die Nationen) und zum Zeitpunkt der Entrückung, mit CD für den Beamer oder zum Ausdrucken, Christliche Verlagsgesellschaft Dillenburg, 22. Auflage, 2012

[51] Arnd Bretschneider: Heilsgeschichtliche Schriftauslegung, Christliche Verlagsgesellschaft Dillenburg, Dillenburg, 2006 (Die Bibel heilsgeschichtlich lesen, verstehen und anwenden – eine Einführung).

Martin C.R. Krüger: Schriftteilung – ein schreckliches Wort? aus seinem Buch Prüft alles, das Gute haltet fest.

 

 

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folgt.